Ein unsittliches Angebot (German Edition)
sicher damit rechnen, dass die Farris-Kinder nächste Woche kommen.«
Wie sie strahlte! Dieser vertraute Umgang zwischen den beiden, wie der eine beinahe die Sätze des anderen vollendete; offensichtlich die Frucht vieler Stunden intellektuellen Diskurses – und das in einer Zeit, in der ihre Ehe ganz gewiss keine angenehme Zweisamkeit zu bieten gehabt hatte. Dabei konnte einem regelrecht schlecht werden, wenn man noch viel mehr ertragen musste. Theo fuhr sich mit der Hand über die gerunzelte Stirn und massierte sie in einen lediglich gedankenverlorenen Ausdruck. »Es gibt da ein Kind, für das ich besonders gern etwas tun würde, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass sie überhaupt jemals heiraten wird.«
Er spürte die warme Aufmerksamkeit der Witwe wie eine Fackel am ausgestreckten Arm. »Die älteste Weaver-Tochter«, sagte sie.
Er nickte. »Einer meiner Landarbeiter hat eine schwachsinnige Tochter. Ein junges Mädchen von fünfzehn oder sechzehn Jahren. Ich habe keine Ahnung, ob man ein solches Kind unterrichten kann, aber vielleicht haben Sie darüber zufällig etwas gelesen?«
Mrs Russells Blick ruhte noch ein oder zwei Sekunden auf ihm, bevor er freudig und hoffnungsvoll auf den Pfarrer schwenkte, der sich mit der Hand durchs Haar fuhr. »Ich kenne keine Forschungsarbeiten darüber, was man in Sachen Bildung für solche Kinder tun kann.« Im Geiste schien er alles durchzugehen, was er zu diesem Thema gelesen hatte. »Aber warum sollten wir es nicht versuchen? Wenn sie den Verstand eines jüngeren Kindes hat, kann sie vielleicht in der ersten Klasse mitlernen. Ich würde gern ihre Eltern kennenlernen und hören, wie sie ihre Fähigkeiten einschätzen.« Die neue Herausforderung schien Mr Atkins überglücklich zu machen. Kein Wunder, dass die Witwe ihn mochte.
Doch selbst Theo missfiel er nicht in dem Maße, wie dieser es sich vorgenommen hatte. »Sie könnten in zwei Tagen auf meinem Besitz vorbeischauen«, sagte er. »Wir erneuern ihr Dach, und noch ein zweites, und da die beiden Familien den Nachmittag im Freien verbringen müssen, habe ich mir überlegt, ein kleines Picknick für sie zu veranstalten. Es soll ein festliches Ereignis werden; eine gute Gelegenheit für Sie, die Familien kennenzulernen und den Grundstein für Ihre Rekrutierungsarbeiten zu legen. Ich hoffe, Sie kommen auch, Mrs Russell. Dann können Sie sich ein Bild von den jungen Mädchen machen.«
Sie starrte ihn an, als wolle sie mit ihrem Blick seine Haare versengen, zweifellos völlig überrumpelt davon, dass er das Dachdecken selbst organisiert hatte, und das Picknick ebenfalls. Sie musste wirklich eine sehr schlechte Meinung von ihm haben, wenn sie geglaubt hatte, dass er ohne sie keinerlei Verantwortungsbewusstsein besaß. Er würde ihr zeigen, dass er das eine oder andere auch selbst bewerkstelligen konnte.
»Mr Mirkwood«, sagte sie spät am Abend, als er gerade am Einschlafen gewesen war. »Ich möchte Ihnen etwas erzählen. Wollen Sie mir zuhören?«
»Natürlich.« Er drehte sich auf die Seite und konnte gerade eben ihre Silhouette in dem wenigen Mondlicht ausmachen, das durch die Vorhänge sickerte. Sie hatte nicht vorgeschlagen, in die alten Räumlichkeiten umzuziehen und ihre Treffen wieder bei Tageslicht abzuhalten. Am Nachmittag hatten sie Mr Smith und Mr Atkins besucht, also konnte sie davon ausgehen, dass er tagsüber wieder Zeit hatte. Dennoch hatte sie nichts gesagt, und er auch nicht.
»Mr Russell hat der Schule nie zugestimmt.« Er hörte, dass sie nach oben blickte und den Betthimmel ansprach. »Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen erzählt habe, dass er manchmal Gedächtnislücken hatte?«
»Ich erinnere mich.«
»Ich habe gewartet, bis ein Tag kam, an dem er besonders neben sich stand. Am Tag danach habe ich ihm gesagt, wie löblich sein Entschluss, die Schule zu stiften, gewesen sei.
»Hervorragend gemacht.« Irgendetwas sagte ihm, dass er sie jetzt nicht streicheln sollte, wie es seine Hand gern wollte.
»Ich schätze, es sollte mir leidtun, aber das tut es nicht. Jemand musste dafür sorgen, dass seine Mittel nutzbringend angelegt wurden.«
Ihm fiel etwas ein. »Die Dächer auch?«
»Ganz genau. Ich sagte ihm, wie großzügig es von ihm sei, jedes einzelne Dach bis zum letzten Balken erneuern zu wollen. Und er konnte sich nicht gut genug erinnern, um mir zu widersprechen.«
»In der Tat äußerst großzügig. Wir ersetzen lediglich eine Schicht Stroh oder so.« Seine Finger, die unruhig nach
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