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Ein unsittliches Angebot (German Edition)

Ein unsittliches Angebot (German Edition)

Titel: Ein unsittliches Angebot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecilia Grant
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hatte sie wohl zu ihr geführt? Drei vollkommen Fremde, und ihr Witwentum ihre einzige Empfehlung. Was immer es für eine Laune gewesen sein mochte, sie war ihr dankbar.
    »Mein Sohn ist bei der Infanterie, wissen Sie, und wir hoffen jeden Tag, Nachricht von seiner Rückkehr zu erhalten.« Mrs Kendall jagte den letzten Kuchenkrümel über ihren Teller. »Haben Sie irgendetwas von Ihrem Bruder gehört?«
    Sie hielt inne, die Tasse auf halbem Wege zum Mund, und spürte, wie sie errötete. Es gab nur eine einzige Person in Sussex, die wusste, dass Will Soldat war. Nur eine einzige Person, die überhaupt von der Existenz ihres Bruders wusste. Die Laune des Schicksals nahm Gestalt an: groß und blond. Sie senkte den Blick und stellte die Tasse auf ihre Untertasse. Was genau hatte die Frau sie gerade gefragt?
    »Oh, es tut mir so leid!« Sie hörte, wie Mrs Kendall sich vorbeugte. »Er schwebt doch nicht in Gefahr? Ich hätte das Thema nie erwähnt, wenn …«
    »Nein, nein, ganz und gar nicht.« Sie blickte auf und zwang sich trotz ihrer Verwirrtheit zu einem Lächeln. »Sein Regiment liegt in Antwerpen, soweit ich weiß, und erwartet den Heimreisebefehl, jetzt wo Napoleon sich in Gewahrsam befindet. Ich hoffe, ihn bald wiederzusehen. Und Ihr Sohn?«
    Irgendetwas wurde über Mrs Kendalls Sohn gesagt. Eine Reihe von Bemerkungen folgte, einige davon von ihr selbst beigesteuert. Von anderen Dingen wurde gesprochen. Über den Tee und den Kuchen sicherlich. Vielleicht das Wetter. Doch wenn man sie eine Minute oder auch sechs Stunden später gefragt hätte, was in den letzten zehn Minuten des Besuchs gesagt worden war, hätte sie es beim besten Willen nicht sagen können.
    Als er abends zu ihr kam, saß sie im Schneidersitz in ihrem Morgenmantel am Fußende des Bettes, mit einem Teller Zitronenkuchen und einer Gabel, und einem unwahrscheinlich strahlenden Lächeln.
    Hätte sie ihn doch nur öfter an ihr Lächeln gewöhnt, dann hätte es ihm vielleicht nicht völlig die Sprache verschlagen. Doch sie war sparsam damit, unterdrückte es oft oder versteckte es hinter einer kunstvoll platzierten Hand, und die Folge war, dass er diesem Lächeln so wehrlos gegenüberstand wie einem Fieber aus dem Dschungel der hintersten Ecke der Fidschiinseln. Stumm lächelte er zurück, so als würde er den Grund ihrer Freude kennen. Und dann, plötzlich, kannte er ihn.
    Er nahm ihr den Kuchen ab, den sie ihm entgegenstreckte, und wich dann wieder aus ihrem strahlenden Glanz zurück. »Und?«, fragte er, während er einen Bissen auf die Gabel nahm. »Was hast du heute für gute Taten vollbracht?«
    »Nicht eine.« Ihr Lächeln vertiefte sich, süß und erfrischend wie ein Stückchen Zitronenkuchen. »Ich hatte Besuch.«
    Im Klassenzimmer war Mr Atkins ganz eindeutig in seinem Element. Hier hielt er keine Predigten, die ein bisschen zu lang gerieten, sondern stellte immer wieder Zwischenfragen und entlockte seinen Schäfchen mit großer Freude Antworten. Er ging im Raum auf und ab, mal zu einer Landkarte, mal zu einer großen Buchstabentafel und oft in den Gang zwischen den Bänken, auf denen die Schüler saßen. Martha saß an einem freien Platz ganz hinten und lauschte seit einer halben Stunde dem fleißigen Kratzen der Griffel auf den Schiefertafeln.
    Alles wandte sich zum Besseren. Alles. In ein paar Monaten würden vielleicht schon doppelt so viele Schüler angemeldet sein, wenn die Kinder von Mr Mirkwoods Besitz dazukämen und – man durfte die Hoffnung nicht aufgeben – die älteren Mädchen. Mit ein bisschen Zeit würde sie vielleicht sogar direkt auf dem Nachbarbesitz eine Molkerei ins Leben rufen helfen, und dann würde sie sich überlegen, was man in der Stadt so alles tun konnte. Wenn sie nur in Seton Park bleiben konnte, würden die bevorstehenden Tage und Jahre sehr erfüllt werden.
    Heute Nachmittag, während sich Mr Atkins den ersten Arbeiterfamilien in Pencarragh vorstellte, würde sie sich darum bemühen, die Freundschaft von Mrs Weaver zu gewinnen. Irgendwie musste sie es schaffen.
    Die gute Laune des Pfarrers hielt an, nachdem er die Schüler entlassen und nach den Zügeln seines Ponywagens gegriffen hatte. Auf der ganzen Fahrt sprach er von nichts anderem als diesem oder jenem Kind, lobte die rasche Auffassungsgabe des einen oder runzelte die Stirn über die Abneigung des anderen stillzusitzen. Nachdem er den Wagen abgestellt hatte, wandte er sich den Kindern der Tagelöhner zu und überlegte, inwiefern es anders sein würde,

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