Ein unverschaemt charmanter Getleman
Verzögerung würde die Kosten in die Höhe treiben, bis das Vorhaben dann irgendwann unerschwinglich wäre. Es wäre nicht der erste Kanal, der aus Geldmangel unfertig brachläge.
Währenddessen würden natürlich auch Gordmors Kohlegruben brachliegen müssen. Wenngleich die Kohle des Peak zwar weder qualitativ noch quantitativ hervorragend war, so genügte sie doch völlig, um die Dampfmaschinen zu betreiben, deren sich die dort ansässige Industrie so zahlreich bediente. Und die Zahl derartiger Maschinen würde in den kommenden Jahren nur noch steigen.
Deshalb musste seine Kohle auch nicht weit transportiert werden - schon gar nicht den ganzen langen Weg bis nach London. Gordmor bedurfte nur einer Möglichkeit, Kunden im Umkreis von zehn oder zwanzig Meilen schnell und günstig beliefern zu können.
Wenn er sich erst einmal einen größeren Markt erschlossen habe, so hatte ihm sein Verwalter versichert, würde es sich auch lohnen, mehr in die Kohleminen zu investieren und die Fördermengen zu erhöhen. Zudem würde eine günstige Transportmöglichkeit die Kosten und den Aufwand rechtfertigen, weitere Bodenschätze zutage zu fördern. Sein Anwesen in Derbyshire könnte ihm somit eines Tages doch noch ein äußerst ansehnliches Einkommen bescheren und nicht nur die dürftigen Einkünfte, die es derzeit abwarf.
Gegenüber der Countess äußerte er jedoch weder seine Ängste noch seine Ambitionen. Eigentlich war es ihm auch lieber, selbst nicht zu sehr darüber nachzudenken. Heute allerdings, derweil er sein übliches unerschütterliches Gebaren an den Tag legte, rasten die Gedanken nur so durch seinen Kopf.
„Bevor er abgereist ist, hat Alistair mir das Vorhaben in aller Ausführlichkeit erläutert“, sagte die Countess nun. „Ich war sehr erfreut, ihn so von etwas begeistert zu sehen, denn an sich hatte ich zu fürchten begonnen, dass er seine einstige Gemütsverfassung nie wiedererlangen würde.“
„Er bedurfte einfach einer Herausforderung“, meinte Gordmor. „Irgendetwas, das seinen Kampfgeist wieder weckt.“
Lady Hargate betrachtete ihn nachdenklich. „Und dennoch bereitet es Ihnen sichtlich Unbehagen, ihn nun ganz allein kämpfen zu lassen.“
„Ich kann nicht leugnen, dass dem so ist, Euer Ladyschaft. Denn wie Sie sicher wissen, steht dabei sehr viel auf dem Spiel - für uns beide.“
Es war nicht nur Alistair Carsingtons Kampfgeist, der sich gegenwärtig regte.
Sein Gewissen tobte wie eine wilde Furie in ihm, und das war noch gar nichts - verglichen mit dem Aufruhr in seinem Herzen.
Den Rest des Freitags verbrachte er damit, eingehend alle bei Wilkerson befindlichen Landkarten zu studieren und sich Notizen zu machen.
Am Samstag ritt er zu Gordys Kohlegruben hinaus, um sich selbst einen Eindruck von deren Lage zu verschaffen.
Am Sonntag machte er einen kleinen Spaziergang in das benachbarte Matlock. Dort besuchte er den Gottesdienst in der alten Dorfkirche und hoffte auf göttliche Erleuchtung, wenn schon sein Verstand ihm den Weg nicht weisen wollte.
Doch ebenso wenig wie das Studium der Karten oder der Besuch der Kohlegruben und der umliegenden Ländereien ihn weitergebracht hatten, so verließ er auch die Kirche ohne die geringste Eingebung.
Er blieb hinter den anderen Kirchgängern zurück und lief noch ein wenig über den Friedhof, um einige der Inschriften auf den Grabsteinen zu lesen.
Alistair wusste, dass niemand aus der Familie der Oldridges hier begraben liege, denn Longledge hatte von alters her eine eigene Kirche, wo sie wohl ihre letzte Ruhe gefunden hätten - sofern sie nicht gar ein Mausoleum auf ihrem Anwesen hatten.
Allerdings wollte er auch nicht nach irgendjemandes Angehörigen suchen. Es gab einfach nur keinen Grund für ihn, jetzt schon in sein Hotel zurückzukehren. Heute, am Sonntag, würde er keine Geschäfte tätigen können. Und wenn er nicht geschäftig sein konnte, gab es nur wenig, was ihn von der wahren Schlangengrube an Problemen abzulenken vermochte, zu der sich nun ausgewachsen hatte, was doch einst so einfach und unverfänglich mit der Anlage eines Wasserweges begonnen hatte.
Vor Tagen schon hatte ihm vor dem Sonntag mit seinem Mangel an Ablenkungen gegraut. Er würde Zeit haben nachzudenken. Aber da ihm die Fähigkeit des sinnvollen Nachdenkens nicht vergönnt war, zog er es vor, beschäftigt zu sein.
Die vertrauten Rituale in der ihm unvertrauten Kirche, inmitten fremder Menschen hatten seinen inneren Aufruhr ein wenig zu beruhigen vermocht. Auch
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