Ein unverschaemt charmanter Getleman
niederlassen“, bemerkte sie.
„Ich weiß Ihren Vorschlag zu schätzen, Miss Oldridge“, brummelte es hinter ihr.
Mirabel fuhr herum.
Der berühmte Held von Waterloo stand nur wenige Schritte von ihr entfernt, stützte sich mit der einen Hand auf einen Gehstock und hielt seinen Zylinder in der anderen.
Seine äußere Erscheinung war wie immer tadellos. Die Kragenspitzen ragten akkurat zu beiden Seiten seines markanten Kinns in die Höhe. Das Linnen seiner Halsbinde strahlte in frisch gestärkter Vollendung. Der grüne Frack schmiegte sich eng an die breiten Schultern und an die Brust und verjüngte sich zur schlanken Taille hin. Die Hose ...
Erinnerungen stürmten auf sie ein - an diese langen, muskulösen Beine, die sich um die ihren geschlungen hatten, die kraftvollen Arme, die sie an sich gezogen, die ach so gewandten Hände, die über ihre Haut geglitten und sie an den verborgensten Stellen berührt hatten ... das Gefühl seiner Lippen auf ihrem Nacken ... die leise geflüsterten Liebkosungen.
Sie blickte auf und schaute ihn an, und weil sie merkte, dass sie von Kopf bis Fuß errötete, hob sie unmerklich das Kinn.
Er betrachtete erst die Körbe, dann sie.
„Blähungen?“, meinte er und zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. „Hysterische Beschwerden?“
„Erstere sind oft die Folge mangelnder Bewegung“, erläuterte Mirabel. „Und als Letztere scheinen einige der Damen Dr. Woodfreys Diagnose als eine Erschöpfung der Nerven gedeutet zu haben.“
„Meine Nerven sind nicht erschöpft“, erwiderte er. „Mir ergeht es recht wohl.“
Das tat es ganz offensichtlich nicht. Seine goldbraunen Augen lagen tief in dunklen Höhlen versunken.
„Ihre Augen ...“, setzte sie an. Unwillkürlich hob sie die Hand, als wolle sie seine Wange berühren, zog sie dann jedoch geschwind zurück und umklammerte mit beiden Händen ihr Retikül.
„Das rührt nicht von Krankheit her“, beschied er. „Ich wünschte, Sie würden nicht...“ Er verstummte und sah sich um.
Crewe versuchte wie gewöhnlich, sich unsichtbar zu machen. Der Hoteldiener jedoch, der die Körbe hereingetragen hatte, trödelte noch immer in der Eingangshalle herum. Auch ein Dienstmädchen war auf einmal aufgetaucht und machte sich nahebei sehr beflissen mit einem Staubwedel zu schaffen.
Mr. Carsington besann sich höflicher Umgangsformen und erkundigte sich nach dem Befinden von Mr. Oldridge und Mrs. Entwhistle.
Als er erfuhr, dass es beiden wohlergehe, meinte er: „Ich sollte Sie nicht aufhalten, Miss Oldridge, denn ich weiß, dass Ihre Zeit von vielen bedeutsamen Verpflichtungen beansprucht wird. Wenn Sie gestatten, begleite ich Sie hinaus. Ich hatte ohnehin vor, den Versteinernden Quellen einen Besuch abzustatten. Mir wurde schon mehrfach gesagt, dass ich mir dieses Naturwunder nicht entgehen lassen dürfe.“
Mirabel pflichtete dem mit ebenso ausgesuchter Höflichkeit bei.
Sobald sie das Hotel verlassen und außerhalb der Hörweite neugieriger Dienstboden über die Parade schlenderten, sagte er leise: „Ich wünschte, Sie würden sich nicht solche Sorgen machen. Es geht mir durchaus gut. Ich sehe nur deshalb so erschöpft aus, weil ich seit Tagen nicht ordentlich geschlafen habe. Nacht um Nacht durchkämpfe ich diese unselige Schlacht. Ach ja, und natürlich gibt es da noch eine Frau, die mir ebenfalls keine Ruhe lässt.“
Mirabel wünschte keineswegs, ihn des Nachts wachzuhalten. Doch kam sie nicht umhin, darüber beglückt zu sein, dass er an sie dachte. Und sie kam auch nicht umhin, sich zu wünschen, sie könne bei ihm sein, wenn seine Albträume ihn heimsuchten. Sie könnte ihn dann in den Armen halten ... Nein, das könnte sie nicht. Zudem würde es nicht mehr lange dauern, bis er fort und unerreichbar wäre. Entweder Lord Gordmor oder aber seine Eltern mussten bald eintreffen und ihm die Angelegenheit aus den Händen nehmen. Und damit auch ihr.
Wenn er erst einmal fort wäre, könnte sie wieder sie selbst sein. Endlich!
„Sie könnten auch die Heilbäder besuchen“, schlug sie ihm vor. „Zu dieser Jahreszeit wären Sie wohl der einzige Gast, und die Bader könnten Ihnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen lassen.“
Er seufzte. „Wenn Sie meinen, dann werde ich die berühmten Bäder natürlich besuchen. Ich habe ohnehin erwogen, mich mit den Kaufleuten, Museumswärtern und Fremdenführern bekannt zu machen. Dabei würde ich nicht nur gleich den Dorfklatsch zu hören bekommen, sondern vielleicht käme mir
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