Ein unverschaemt charmanter Getleman
Mirabel erhob sich und blickte ihn fassungslos an, wenngleich sie sich so beschämt fühlte, dass sie sich voller Verzweiflung wünschte, einfach davonlaufen zu können. „Ich verstehe. Selbst nachdem ich mich dir in jeder nur erdenklichen Weise offenbart habe, zweifelst du an mir. Wiederholt hast du den Wunsch geäußert, mich zu heiraten - bislang zumindest. Doch nun weichst du zurück - und das, obwohl sich all deine Probleme auf einen Schlag lösen ließen. Ist dir diese einfache Vorstellung unerträglich? Aber warum? Kannst du es nicht mit deinem Stolz vereinbaren? Stellst du dir vor, ich würde wie Judith Gilford versuchen, dich nach Lust und Laune zu schikanieren? Wenn du das glaubst, kennst du mich schlecht, und die Liebe, die du für mich bekundest, ist wie deine anderen Leidenschaften auch: ungestüm, aber nicht stark genug, um den praktischen Notwendigkeiten des Lebens standzuhalten.“
„Oh, besten Dank, aber ich komme sehr wohl damit zurecht“, erwiderte er kurz angebunden. „Und das werde ich dir beweisen.“
Damit ging er davon, und sein Humpeln war offensichtlicher als sonst. Trotz ihrer Beschämung und ihrer Wut und ihrer Verzweiflung zuckte Mirabel bei dem Anblick zusammen, denn wie er spürte sie den unaufhörlichen Schmerz, der ihn begleitete, und die Mühe, die er sich gab, ihn zu verbergen.
Sie sagte sich, dass es vor allem sein Stolz sei, von dem er mehr hatte, als gut für ihn war. Doch sie wusste auch, dass in nicht unerheblichem Maße Mut ihn dazu veranlasste, so zu handeln, wie er es tat. Obgleich sie so wütend auf ihn war, war ihr sehr wohl bewusst, dass sie ihn wegen seines Stolzes und seines Mutes nur noch mehr liebte.
Nein, nicht liebte. Natürlich liebte sie ihn nicht. Sie kannte ihn doch gerade einmal wenige Wochen ...
Aber das war Zeit genug gewesen, wie sie nun feststellte. Irgendwie - kaum wusste sie, wie ihr geschehen war - war es ihm gelungen, ihr Herz zu erobern. Und dann hatte er sich davongemacht, mit ihrem Herzen, als ob es nicht mehr als ein mit seinem Monogramm besticktes Taschentuch sei.
Sollte er doch gehen, mit seinem sturen Stolz und seinem schrecklichen Kanal! Wenn er ihr Geld nicht wollte, so war das sein Problem. Sie würde weiterhin so vorgehen wie ursprünglich geplant. Im Grunde hatte sich doch nichts geändert, sagte sie sich. Sie hatte sich damit abgefunden, für einen kurzen Moment des Glücks mit einer langen Zeit des Leids bezahlen zu müssen. Nun war es genau so gekommen. Sie fügte sich recht gefasst in ihr Schicksal.
Diese Gefasstheit musste sie dann wohl dazu veranlasst haben, nachdem sie ihn sich von Mrs. Entwhistle verabschieden und fortgehen gehört hatte, den erstbesten zerbrechlichen Gegenstand zu ergreifen - einen Wasserkrug - und ihn gegen den Kaminsims zu werfen.
Kurz nachdem Alistair von seiner stürmischen Begegnung mit Mirabel zurückgekehrt war, brachte ihm Crewe auf einem Tablett das Abendessen herein.
Alistair stocherte lustlos in seinem Essen herum, und weil er sich so bekümmert und erschöpft fühlte, ging er schon bald zu Bett. Dort würde er sich zumindest ein wenig von den Strapazen der nachmittäglichen Reise erholen können, denn zum Schlafen war es noch zu früh - was nicht heißen sollte, dass er erwartete, nach der Auseinandersetzung mit Mirabel und deren überraschender Enthüllung schlafen zu können.
Eine Erbin! Warum hatte Gordy ihm das nicht erzählt?
Wahrscheinlich hatte er angenommen, dass Alistair es ebenso wüsste wie all das andere auch, dessen er sich unwissend gezeigt hatte. Größe und Wohlstand des Anwesens hatten ihn natürlich vermuten lassen, dass Mirabel über ein beträchtliches Vermögen verfügen müsse. Allerdings war er davon ausgegangen, dass - wie im Falle seines Vaters - der gesamte Besitz an den nächsten männlichen Erben väterlicherseits übergehen würde.
Aber als sie sich ihm nun als Lösung all seiner Probleme dargeboten hatte, wurde ihm klar, dass ihr Vermögen mehr als nur ansehnlich sein musste - wusste sie doch, wie kostspielig er war. Wahrscheinlich hatte sie sich die durch ihn anfallenden Kosten bereits bis auf den Schilling genau ausgerechnet. Denn anders als die meisten Damen von Stand hatte sie lernen müssen, welchen Preis alles hatte, wie man die Notwendigkeit einer Erwerbung nach Vorteilen und Nachteilen abwog und ob es nicht wirtschaftlicher war, etwas gleich neu anzuschaffen, statt es aufwendig und teuer reparieren zu lassen. Sie hätte ihm niemals vorgeschlagen, sie
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