Ein unverschaemt charmanter Getleman
Oldridge es vorhergesehen hatte.
Alle werden Sie einladen ... damit Sie Gelegenheit haben, Haus und Hof, die Kinder, und dabei natürlich vor allem die Töchter, zu bewundern.
Sir Roger hatte so trefflich bemerkt, dass Alistair ein Löwe im Schaugehege sei. Doch wie sich nun herausstellte, war es weniger Lord Hargates heldenhafter Sohn, der an diesem Abend vorgeführt wurde, sondern eine ganze Schar von jungen Damen, die alle sehr beflissen waren, ihn zu unterhalten und ihm zu gefallen.
Das war eine gänzlich neue Erfahrung.
Als Alistair seine ersten Schritte auf dem gesellschaftlichen Parkett gemacht hatte, hatte er sich nicht darum zu sorgen brauchen, dass irgendjemand ihn in die Ehefalle locken wollte. Er war ein jüngerer Sohn, finanziell abhängig von seinem Vater, der - wenngleich recht wohlhabend - doch keineswegs zu den vermögendsten Mitgliedern des Adels zu zählen war. Es galt zudem nicht zu vergessen, dass Lord Hargate noch für vier weitere Söhne aufzukommen hatte.
Mit anderen Worten: Alistair Carsington war keine sonderlich gute Partie.
Judith Gilford hatte sein dürftiges Einkommen indes nicht abhalten können. Sie verfügte selbst über so viel Geld, dass es für sie beide ausreichte und noch immer genügend in Reserve blieb. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, sich von ihrem Vermögen einen ganzen Harem zu halten - unglücklicherweise stand die Gesetzeslage der Vielmännerei in England ablehnend gegenüber -, denn es hätte wahrlich eines halben Dutzends an Ehemännern bedurft, um Judith all die Aufmerksamkeit und demütige Ergebenheit zu erweisen, nach der sie verlangte.
Aber das war in London gewesen. Hier jedoch befand er sich in einem entlegenen Winkel ländlicher Provinz, wo als künftige Ehegatten zu begehrende Männer ebenso zahlreich aus dem Boden sprossen wie Kokospalmen.
An heiratswilligen jungen Frauen hingegen herrschte offensichtlich kein Mangel.
Lady Talbots „kleine, ganz unförmliche“ Abendgesellschaft bestand aus mehr als zwei Dutzend geladenen Gästen. Zehn davon waren junge Damen, alle fein herausgeputzt in ihren besten Kleidern und mit den unglaublichsten Frisuren und allesamt bestrebt, den dritten Sohn des Earl of Hargate zu bezaubern.
Mit Miss Oldridge wären es sogar elf an der Zahl gewesen, doch konnte man sie wohl kaum zu den jungen Damen rechnen, war sie doch unlängst jenseits der dreißig angelangt und zudem nicht im Geringsten bemüht, bezaubernd zu sein.
Die jungen Damen waren in anmutige Kreationen aus weißem oder pastellfarbenem Musselin gekleidet. Den kalten Polarwinden zum Trotz, die unerbittlich an den Fenstern rüttelten, ließen ihre Kleider auf beträchtliche Weiten an Dekollete blicken.
Miss Oldridge trug ein Kleid aus grauer Seide, das den Anschein machte, als hätte es ein gestrenger Pfarrer der Presbyterianer für seine Großmutter entworfen.
Sie schien wahrlich entschlossen, Alistair in den Wahnsinn zu treiben.
Und all seinen guten Vorsätzen zum Trotz hatte sie damit Erfolg.
Da sie sich nicht kooperativ zeigte, hatte er nämlich beschlossen, ohne ihre Hilfe auszukommen.
Er würde sie nur mehr wie ein Möbelstück betrachten, das ihm hin und wieder im Weg stand. Doch heute Abend würde er nicht ein einziges Mal über sie stolpern - um in diesem Bild zu bleiben -, wie er es bei ihren bisherigen Begegnungen getan hatte. Heute Abend würde er ihr elegant aus dem Wege gehen und stattdessen ihren Nachbarn seine Aufmerksamkeit widmen. Wenn es ihm gelänge, deren Zustimmung zu gewinnen, könnten auch Miss Oldridges Einwände dem Bau des Kanals nichts mehr anhaben.
So hatte er sich das gedacht.
Aber wie sollte ein Mann denn noch einen klaren Gedanken fassen können, wenn er sich einer solchen Erscheinung gegenübersah?
Kein wohlwollender Kerzenleuchter, keine opulente Tischdekoration versperrte Alistair den Blick. Die jungen Damen, die allesamt in seiner Nähe saßen, waren mühelos mit seiner Unterhaltung zu erfreuen. Doch derweil war es ihm unmöglich, die Augen von dem grausigen Spektakel abzuwenden, das Miss Oldridge bot.
Der Ausschnitt ließ gerade einmal die kleine Mulde an ihrem Hals frei. Die Ärmel reichten ihr bis zu den Handgelenken. Allein die hoch angesetzte Taille, die die Büste vorteilhaft zur Geltung brachte, und der gerade geschnittene Rock, der sich eng um die Hüften schmiegte, ließen einen Mann erahnen, dass sich unter dem grauen Stoff eine weibliche Figur verbarg.
Das Kleid war ein abschreckendes Beispiel dafür, wie
Weitere Kostenlose Bücher