Ein unverschaemt charmanter Getleman
haben.“ Er konnte es sich nicht versagen hinzuzufügen: „Danke, dass Sie sich auf mich gestürzt haben.“ „Aber ich bitte Sie“, erwiderte sie abwehrend und ging zur Tür. „Das Vergnügen war ganz meinerseits, Mr. Carsington.“
Nur einige wenige schlecht gesinnte Naturen glaubten ernstlich, dass Mirabel so weit gehen würde, Lord Hargates Sohn in den Briar Brook zu stoßen. Das hieß allerdings nicht, dass die anderen sich nicht auch ihre Gedanken machten, und die kamen dem rufschädigenden Gerede recht nah, das Captain Hughes vorhergesehen hatte.
Die Pfarrersfrau Mrs. Dunnet, die sehr eingenommen von Mirabel war, kam am Montag zu Besuch. Während man im Salon bei Tee und Kuchen beisammensaß, machte sie Mirabel und Mrs. Entwhistle mit allem gebotenen Takt auf die allgemeine Stimmungslage aufmerksam, wie sie sich ihr aus den Gesprächen erschlossen hatte, die sie gestern nach dem Gottesdienst und heute während ihrer morgendlichen Besuche vernommen hatte.
„Mr. Dunnet hat wahrlich mehr als einmal eine Predigt über die Sünde des reinen Gerüchts und des falschen Zeugnisses gehalten“, versicherte ihnen die Pfarrersfrau. „Doch die meisten Leute glauben, dass seine Worte stets alle anderen betreffen, nicht aber sie selbst.“
„Derlei Gerede gründet eher auf Unzufriedenheit und Verdruss als auf wahrer Böswilligkeit“, meinte Mrs. Entwhistle.
„Und wir sollten Caleb Finchs Freunde nicht vergessen. Sie haben Mirabel nie verziehen, dass sie ihn entlassen hat.“
Bei der Erwähnung ihres einstigen Verwalters stand Mirabel auf, ging zu den Flügelfenstern hinüber und blickte hinaus. Es war ein dunkler, wolkenverhangener Tag. Wie Caleb Finch, dachte sie grimmig. Seit Jahren hatte sie ihn nicht gesehen, und nun warf er auf einmal wieder einen dunklen Schatten über ihre Welt.
Doch die Schuld dafür hatte sie allein sich selbst zuzuschreiben.
Mittlerweile war ihr klar geworden, dass sie ihn hätte anklagen sollen. Doch damals war sie gerade einmal zwanzig gewesen, ihrer Beweise ebenso wenig gewiss wie ihrer selbst und in geschäftlichen Belangen von einer bedauerlichen Arglosigkeit.
Zudem war William inmitten all dessen eingetroffen, und sie war vor allem damit befasst gewesen, ihm verständlich zu machen, weshalb die Hochzeit abgesagt werden müsse, weshalb sie nicht mit ihm kommen könne - nicht jetzt, wo das Anwesen kurz vor dem Ruin stand.
„Meine Liebe.“
Als sie die Stimme ihrer Gouvernante vernahm, drehte Mirabel sich um und versuchte zu lächeln. „Wie könnte ich Caleb Finch jemals vergessen? Ist er zurückgekehrt?“
Wie sehr sie wünschte, vor Jahren den Mut gehabt zu haben, ihn vor Gericht zu bringen! Vielleicht wäre er sogar in die Kolonien geschickt worden - zusammen mit seinen Freunden, die alle gemeinsam ihren Vater ausgenutzt hatten.
„Er ist nicht in Longledge“, teilte Mrs. Entwhistle ihr mit.
„Er dürfte es kaum wagen, sich hier sehen zu lassen“, bemerkte Mrs. Dunnet. „Ich habe seitdem nicht mehr von ihm reden gehört. Nicht einmal seine Freunde sprechen öffentlich von ihm.“
„Caleb Finchs Freunde sind das kleinere Ärgernis“, fand Mrs. Entwhistle. „Sorgen bereiten mir vielmehr die respektablen Leute von Longledge. Wenn es uns nicht bald gelingt, sie zu beruhigen, wird dein Ruf ruiniert sein.“
Mirabel wünschte, sich um ihren Ruf oder darum, welche Auswirkungen derlei Gerüchte auf ihn hatten, keine Gedanken machen zu müssen. Doch sie konnte sich keinen einzigen persönlichen Makel leisten, denn dann würde sie allen Einfluss und Respekt verlieren, die sie sich in langen Jahren so mühevoll erarbeitet hatte. Niemand würde ihren Einwänden gegen den Kanal dann noch Beachtung schenken.
„Ich wüsste gar nicht, wie solchem Gerede Einhalt zu gebieten ist“, bekannte sie. „Alles abzustreiten dürfte die Sache noch verschlimmern.“
„Zunächst einmal müssen wir die Gründe verstehen“, sagte Mrs. Entwhistle. „Ich denke, wir können hier leicht den allseitigen Neid ausmachen.“
„Neid?“ Mirabel kehrte zu ihrem Sessel zurück und setzte sich, denn es lohnte sich meist, Mrs. Entwhistle zuzuhören, die über eine bemerkenswerte Menschenkenntnis verfügte.
„Du beherbergst einen berühmten Helden unter deinem Dach“, erklärte sie Mirabel nun. „Aber im Augenblick ist es deinen Nachbarn untersagt, ihn zu besuchen. Natürlich möchte jeder, dass für ihn eine Ausnahme von dieser Regel gemacht wird. Es ist ihnen schließlich nicht
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