Ein unverschaemt charmanter Getleman

entgangen, dass Captain Hughes und mir ebenso eine solche Ausnahme zugestanden wird, und sie können nicht verstehen, warum es bei ihnen nicht so ist.“
    „Ich werde Sie nun ganz sicher nicht nach Hause zurückschicken oder Captain Hughes abweisen, nur damit ich niemanden vor den Kopf stoße“, erwiderte Mirabel. „Die Leute würden umgehend einen anderen Anlass finden, über den sie sich ereifern könnten.“
    „Du musst niemanden des Hauses verweisen“, beschwichtigte sie Mrs. Entwhistle. „Es ist an sich ganz einfach, dem Gerede ein Ende zu machen.“
    Mrs. Dunnet lachte auf. „Ganz so einfach kann es indes nicht sein, oder vielleicht stelle ich mich auch nur sehr dumm an. Doch keines meiner Worte hat bislang etwas bewirken können.“
    „Die Leute dürsten nach aufregenden Neuigkeiten“, stellte Mrs. Entwhistle fest. „Sie wollen wissen, ob wirklich jeden Tag neue geheimnisvolle Verletzungen dazukommen oder ob Mr. Carsington tatsächlich die Symptome einer Vergiftung zeigt - oder ob er überhaupt noch am Leben ist.“ Ihre dunklen Augen funkelten. „Müßiggang ist des Teufels Ruhebank, und wen wundert es? Es ist Februar, dies ist eine kleine, ländliche Gemeinde, die Leute haben kaum Abwechslung. An deiner Stelle, Mirabel, würde ich sie ein wenig unterhalten, damit sie auf andere Gedanken kommen.“
    „Sie wollen mir hoffentlich nicht vorschlagen, dass ich meinen Gast vergifte, um meine Nachbarn bei Laune zu halten“, entgegnete Mirabel.
    „Ich schlage dir vor, deinen Plan für den heutigen Tag zu ändern“, erwiderte ihre frühere Gouvernante unbeirrt. „Verschiebe anstehende Arbeiten auf morgen, und besuche stattdessen deine Nachbarn. Berichte ihnen ausführlich jede erdenkliche Kleinigkeit über deinen erlauchten Gast. Zudem -und das ist von ganz besonderer Bedeutung, Mirabel - musst du hinsichtlich seiner Pflege ihre Ratschläge erbitten.“
    Die Pfarrersfrau richtete ihren Blick bewundernd auf die etwas korpulente, in allerhand Rüschen gewandete Witwe. „Das ist wirklich sehr schlau“, bemerkte Mrs. Dunnet anerkennend. „Auf diese Weise dürfte mehr erreicht werden als mit hundert Predigten, aber verraten Sie Mr. Dunnet bloß nicht, dass ich das gesagt habe.“
    Es war Mirabels Tante Clothilde gewesen, die Mrs. Entwhistle vor fünfzehn Jahren nach Oldridge Hall geschickt hatte. Sie war eher als Gesellschafterin denn als Lehrerin für das mutterlose junge Mädchen gedacht, denn zu jener Zeit war Mirabels Bildung bereits mehr oder minder abgeschlossen. Die Gouvernante hatte einen Haushalt vorgefunden, den der Tod seiner geliebten Herrin zutiefst erschüttert und entmutigt zurückgelassen hatte. Kurzerhand stellte sie Zuversicht und Arbeitsmoral wieder her und - wie Captain Hughes so trefflich bemerkt hatte - „brachte das Schiff auf Vordermann“.
    Indem sie das tat, ließ sie Mirabel zugleich die Art von Erziehung angedeihen, die weit über das im Schulzimmer Vermittelte hinausging. Von diesen Kenntnissen hatte Mirabel einige Jahre danach sehr erfolgreich Gebrauch machen können, als sie ihre romantischen Träume aufgeben und von London heimkehren musste, um einen erneuten Schiffbruch zu verhindern.
    Aus diesem Grunde hinterfragte sie auch jetzt nicht Mrs. Entwhistles Rat, sondern setzte ihn unverzüglich in die Tat um.
    Und so verbrachte Mirabel den Montag bis spät in den Abend hinein damit, sich von verschiedenen Damen tief empfundene Mitleidsbekundungen für Mr. Carsington anzuhören. Mit gefasster Miene und ergebenstem Dank nahm sie medizinische Rezepturen entgegen, die sich bei allerlei Leiden bewährt hatten - von spröden Lippen bis hin zu Taubheit.
    Sie lauschte Ratschlägen, wie sich ein drohendes Lungenfieber abwenden lasse, und ließ mit unerschütterlicher Gleichmut Erinnerungen an die Grippeepidemie von 1803 über sich ergehen, der einst auch ihre Mutter erlegen war. Geduldig wartete sie, derweil kurze Briefe an den Patienten verfasst wurden, und versprach, ihm diese zu überbringen, sobald Dr. Woodfrey sein erschüttertes Gehirn als so weit genesen erachte, dass er wieder lesen dürfe. Als sie schließlich nach Hause zurückfuhr, war ihr Pferdegespann beladen mit Eingewecktem und Eingelegtem, mit Gelees und Sirupen und genügend Balm of Gilead Oil, um ganz Preußen damit einzubalsamieren.
    Kurz nach dem Abendessen war sie wieder in Oldridge Hall und traf in der Bibliothek auf Mrs. Entwhistle, die sich mit Captain Hughes unterhielt. Papa, so wurde ihr mitgeteilt, sei nach