Ein unversoehnliches Herz
verändert.
Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um, verließ das Wohnzimmer und durchquerte den langen Flur. Als sie die Hand auf die Türklinke legte, hörte sie im selben Moment seine Stimme.
»Es kommt mir so vor, als hätte Ihnen jemand Ihre Möse zugenäht, Frau Posse-Brázdová. Liegt es daran, dass keiner in sie eindringen soll, um dort ein neues Monster zu zeugen?«
Sie schloss behutsam die Tür hinter sich und ging mit leisen Schritten die Treppe hinab. Als sie ins Freie gelangt war, versuchte sie wie immer zu gehen, ertappte sich jedoch dabei, stetig schneller zu werden. Am Ende lief sie, so schnell sie konnte, die schwach beleuchtete Straße hinab.
Lieber Bruder …
Es bleibt lange still.
Vollkommen still.
Ihr seht euch nicht an, hört nur eure Atemzüge. Es passt so gar nicht zu Gunhild und dir, im Beisein des anderen zu schweigen.
Dessen seid ihr euch bewusst.
»Es gibt da etwas, das mir Kopfzerbrechen bereitet«, sagst du schließlich. »Es geht um Andreas und etwas, das ich nicht richtig verstehe.«
»Ja?«
»Erinnerst du dich, dass er und ich uns 1913 einmal getroffen haben? Wir sind uns begegnet, als ich vom alljährlichen Psychoanalytischen Kongress in München heimgekehrt bin. Erinnerst du dich?«
»München? Was sagst du, wann soll das gewesen sein, 1913? Das ist ja über zehn Jahre her.«
»Es war die Versammlung, auf der ich mit Freud gebrochen habe. Und mit … Lou.«
»Ja, daran erinnere ich mich natürlich.«
»Andreas hat mich in Stockholm vom Zug abgeholt. Er hatte sich mit dir in Verbindung gesetzt, um dich zu bitten, mich nicht wie sonst abzuholen. Erinnerst du dich?«
»Oh ja, daran erinnere ich mich. Amelie hatte mich gefragt, ob er dich abholen und ich zu Hause bleiben könnte. Ja, so war es. Ich habe dich sonst ja immer abgeholt, wenn du von deinen Reisen zurückgekehrt bist. Aber ich weiß noch, dass Amelie sehr hartnäckig war. Ich fand, dass es etwas unbeherrscht wirkte, und erinnere mich, wie überrascht ich war. Wenn Andreas mit dir reden wollte, hätte er dich doch jederzeit in deiner Praxis aufsuchen können, nicht wahr?«
»Ja, da hast du Recht. Aber, was ich mich frage: Hat er dir erzählt, warum er mich treffen wollte?«
»Ich habe nie selbst mit ihm gesprochen.«
»Und Amelie, hat sie dir erzählt, was er wollte?«
»Das weiß ich nicht mehr. Oder warte, was hat sie noch gesagt? Am besten fragst du sie natürlich selbst, ihr Gedächtnis ist wesentlich besser als meins. Aber da war irgendetwas. Er wollte dir etwas erzählen.«
»Ja gut, aber was ?«
»Es ging um einen Brief. Jetzt erinnere ich mich wieder. Es war unheimlich wichtig, ob du einen bestimmten Brief gelesen hattest. Amelie bat mich, nach ihm zu suchen. Jetzt weiß ich es wieder. Aber ich fand ihn nicht. Und dann fiel mir wieder ein, dass du den Brief mitgenommen hattest, um ihn auf der Fahrt zu lesen. So war es. Du hattest gesagt, du würdest den Brief lieber im Zug als vor deiner Abreise lesen.«
»Hast du das Amelie erzählt?«
»Ja. Hätte ich das nicht tun sollen?«
»Doch, doch. So habe ich es nicht gemeint.«
»Poul, was sind das für seltsame Fragen? Ein alter Brief. Du tust so geheimnisvoll. Warum suchst du ihn nicht einfach heraus und liest ihn?«
»Das kann ich nicht.«
»Aber du ordnest deine Briefe doch immer so sorgfältig. Du findest ihn bestimmt.«
»Das geht nicht. Ich habe ihn weggeworfen.«
»Das tust du doch sonst nie.«
»Nein.«
»Aber erinnerst du dich denn gar nicht, was in ihm stand?«
»Ich habe ihn nie gelesen.«
»Du meinst, du hast ihn weggeworfen, ohne ihn zu lesen? Warum hast du das getan? Es sieht dir gar nicht ähnlich, so etwas zu tun.«
»Ich weiß es nicht. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Aber woher sollte ich auch wissen, dass der Brief so wichtig war?«
»Woher willst du wissen, dass er wichtig war, wenn du nicht weißt, was in ihm stand?«
Du seufzt und siehst wahnsinnig müde aus. Dann breitest du die Arme aus und fährst fort:
»Andreas hat mich offenbar gebeten, ihn nach seinem Tod zu lesen. Als wir uns 1913 begegnet sind, bat er mich, ihn nicht zu lesen. Ich sagte ihm, ich hätte ihn nicht bekommen. Doch das hatte ich ja, und das wusste er ganz offensichtlich. Aber ich erzählte ihm damals nicht, dass ich ihn aus dem Zugfenster geworfen hatte. Es geschah in einer Art … sagen wir, Wutausbruch. Und gestern hat Madeleine mir erzählt, es sei sein Wille gewesen, dass ich den Brief nach seinem Tod öffne. Ich nehme an, dass sie
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