Ein unversoehnliches Herz
mich deshalb treffen wollte.«
»Aber wenn er wusste, dass du den Brief bekommen hattest, obwohl du das Gegenteil behauptet hast, musste er dann nicht annehmen, dass du ihn auch gelesen hattest?«
»Ich weiß. Ich werde aus der Sache einfach nicht schlau. Aber ich habe es unglaublich satt, diese Spielchen mitzuspielen, die Andreas unser Leben lang gespielt hat. Sogar nach seinem Tod tauchen seine Vorwürfe auf und … ich ertrage das nicht.«
»Dabei bist du immer für ihn dagewesen. Vor allem, was Sören Christer betrifft. Er hätte sich selbst um seinen Sohn kümmern müssen und die Verantwortung nicht auf dich abwälzen dürfen. Es hat nie etwas gegeben, wofür du dich hättest schämen müssen. Andreas ist … er war ein wahnsinnig komplizierter Mensch. Er hat allen weh getan, nicht zuletzt denen, die er am meisten liebte. Wie soll Madeleine das alles nur überstehen? Wie soll sie damit fertig werden, ohne zugrunde zu gehen? Warum, warum tun wir uns nur immer so weh? Wir versuchen zu sagen, dass wir uns lieben, dass wir füreinander da sind, aber wenn wir sprechen, kommt etwas ganz anderes heraus … warum tun wir das, Poul?«
Du bleibst lange mit ihrer Hand in deiner sitzen.
Schließlich küsst du die Hand und antwortest:
»Ich weiß es nicht.«
Sie öffnete den Lippenstift und hob die Hand
zu seinen Lippen, als wären es ihre eigenen.
Nürburg, 24. Oktober 1921
Selbst in seinen blühendsten Fantasien hätte sich Sören Christer nicht den Ort vorstellen können, an den sie jetzt kamen. Allein für den Weg vom Tor durch den Garten benötigten sie fünf Minuten. Und auf der Hügelkuppe thronte, was Baronin von Dreis »das Haus« nannte, obwohl es sich in Wahrheit um ein Schlösschen aus dem 18. Jahrhundert handelte.
Der Wagen fuhr am Haupteingang vor, und unter seinen Rädern knirschte der Kies. Schnell öffnete der Fahrer die Tür, eilte um das Auto herum, grüßte und öffnete die hintere Tür. Am Eingang warteten ein Hausmädchen, ein Diener und eine Haushälterin, die alle dienerten oder knicksten. Die Baronin führte Sören Christer in die Eingangshalle. Er atmete tief durch und sog einen Duft ein, der lieblicher war als alles, was er je zuvor gerochen hatte. Es duftete haargenau so, wie er es sich vorgestellt hatte, herb wie schwere Eiche.
»Komm«, sagte Baronin von Dreis und zog ihn die Treppe hoch. Sie zerrte ihn jede Stufe hinauf, lachte und stolperte immer wieder. Oben angekommen schlug sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer auf und rief:
»Champagner, jetzt werden wir Champagner trinken!«
Sie tanzte durchs Zimmer, öffnete ihr Haar. Der Pelzmantel landete auf dem Fußboden. Sören Christer hatte nie zuvor einen so wilden und verrückten Tanz gesehen. Er dachte, dass Baronin von Dreis der glücklichste Mensch sein musste, dem er je begegnet war. Sie rief ihm zu:
»Komm, tanz mit mir!«
Er winkte abwehrend, setzte sich auf das Bett und sah ihrer Isadora-Duncan-Imitation zu, bei der sie mit einer Stola umherhüpfte, mit der sie ununterbrochen geschmeidig wedelte. Sie schlug die Tür zum Salon auf, alles tanzend, mit fliegenden Armen, wehenden Haaren, rundherum wie ein kreiselnder Derwisch.
Schließlich setzte sie sich völlig außer Atem neben Sören Christer auf das Bett. Sie streckte die Arme aus und ließ sich rücklings auf die Matratze fallen.
»Nichts liebe ich mehr als zu tanzen«, erklärte sie.
Sören Christer öffnete den Champagner, den das Hausmädchen bereitgestellt hatte, füllte zwei Gläser und gab das eine der Baronin.
»Abgesehen von Champagner vielleicht«, sagte sie und lachte.
Sie setzte sich auf und fächelte ihrem Gesicht mit der flachen Hand Luft zu.
»Ich muss Sie irgendwie nennen. Ihr Name ist viel zu kompliziert für eine einfache Frau wie mich.«
Sie legte ihre Hand an sein Kinn, als dächte sie fieberhaft nach. Schließlich erhellten sich ihre Züge.
»Kleiner Prinz«, sagte sie. »Darf ich Sie kleiner Prinz nennen?«
Sören Christer lächelte unsicher. Er überlegte, ob sie sich über ihn lustig machte.
»Wenn wir aufhören uns zu siezen«, antwortete er, »dann gern.«
»Oh! Ich wusste, dass du etwas Besonderes bist. Für so etwas habe ich ein Gespür. Ich habe sofort gesehen, dass du Humor hast. Du machst mich glücklich, kleiner Prinz.«
»Dein Name ist aber auch schwer auszusprechen.«
»Findest du?«, sagte sie erstaunt und legte den Kopf schief.
»Ja. Für einen Schweden.«
»Aber du sprichst doch ganz ausgezeichnet Deutsch.«
»Darf ich
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