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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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sein, hast du gesagt, jemanden zu haben, der den ersten Schlag führt. Danach kann man sich ja selbst prügeln, wenn man schon einmal in Schwung gekommen ist.
    Manchmal kannst du richtig komisch sein, wenn du so böse die Augen öffnest. Wie ein Kind. Vielleicht hat jeder von uns einen Repräsentanten für die Eigenschaften ausgewählt, die wir in uns trugen. Du einen deutschen Narren und ich einen dänischen Melancholiker.

Manchmal stand sie da als das biedere Mädchen,
    in voller Montur, und sah, wie sie miteinander schliefen.
    Rom, 24. Juni 1912
    Der Vorhang hob sich zum zweiten Akt.
    Isabeau, die Tochter König Raimondos, hat sich geweigert, den Mann zu heiraten, der beim Ritterturnier ihre Hand gewonnen hat. Stattdessen hat sie sich in einen Mann aus dem Volk verliebt, der eingekerkert wurde, weil er vor ihren Füßen Rosen verstreute, als sie nackt durch die Stadt ritt: die Strafe ihres Vaters dafür, dass sie sich der Heirat mit dem siegreichen Turnierkämpfer widersetzt hat. Luigi Illicas Libretto war wahrhaftig kein Meisterwerk, und alle wussten, dass mehrere Komponisten es zuvor abgelehnt hatten, unter anderem Puccini und Franchetti.
    Amelie setzte sich auf dem unbequemen Sitz zurecht und schaute sich um. Es war unerträglich heiß im Opernhaus, und sie griff nach ihrem Fächer, womit sie nicht die Einzige war; im gesamten Parkett wurde mit allem, von Fächern und Zeitungen bis hin zu Kleidungsstücken, Luft gefächelt. Und abgesehen vom Schweiß und der stickigen Luft war das ganze Theater von einer ebenso schicksalsschweren wie erwartungsvollen Stimmung erfüllt. Der Aufführung waren wüste Diskussionen vorausgegangen, und die Menschen hatten stundenlang Schlange gestanden, um Eintrittskarten zu ergattern.
    Getan hatten sie dies alle aus einem einzigen Grund: Pietro Mascagni.
    Der Name war zu einem Teil der italienischen Volksseele geworden. Fast jeder Italiener hatte seine Oper Cavalleria Rusticana gesehen und sich vom Verismus und den zum Mitsingen animierenden Melodien blenden lassen. Es war kaum ein Tag vergangen, seit der unbekannte Bäckersohn aus Livorno 1890 Sonzognos Kompositionswettbewerb gewonnen hatte, als sich auch schon überall das Gerücht verbreitete: Eine neue Oper, Cavalleria Rusticana , sei ein schier unglaublicher Erfolg gewesen und das Publikum habe länger als die gesamte Spieldauer des Stücks applaudiert! Die Arien verbreiteten sich wie ein Lauffeuer von Café zu Café, von Norden nach Süden. Und überall hörte man das Intermezzo, jene Instrumentalpartie, die den ersten mit dem zweiten Akt verband. Mascagni hatte es in Windeseile komponiert, als er sein Werk dem Wettbewerb anpassen musste, da nur Einakter zugelassen waren.
    Ein Journalist von La Stampa war alle italienischen Opern durchgegangen und hatte zwischen 1900 und 1910 keinen Tag gefunden, an dem Cavalleria Rusticana nicht in einem der Opernhäuser des Landes gespielt worden war. Leider hatte Maestro Mascagni seither keinen Publikumserfolg mehr erzielen können, weshalb er 1912 das Angebot einer Operntournee durch Südamerika angenommen hatte. Dort erfreuten sich auch Werke, denen in Europa der Erfolg versagt geblieben war, größter Beliebtheit. Vor seiner Südamerikatournee hatte Mascagni außerdem eine neue Oper vollendet: Isabeau . In Italien kursierenden Gerüchten zufolge hatte sie in Buenos Aires glänzende Kritiken bekommen.
    Die Aufführung in Rom an diesem Abend bildete Isabeaus Italienpremiere, und die Erwartungen waren entsprechend riesig. Konnten die Berichte aus Argentinien wirklich zutreffen? War Mascagni mit einem neuen Meisterwerk zurückgekehrt? War es ihm gelungen, einem traditionellen Opernlibretto mit der gleichen realistischen Technik Leben einzuflößen, die er in Cavalleria Rusticana so perfekt genutzt hatte?
    Amelie unterdrückte ein Hüsteln und löste den Rücken vom Stuhl, um ein wenig Luft an ihn zu lassen. Ihre Augen schweiften erneut über den Zuschauerraum. Überall Männer in Fracks und mit Zylindern auf dem Schoß, Frauen in kunstvoll bestickten Kleidern und mit großen, breiten Hüten. Und ganz oben, im dritten Rang, standen sie wie die Sardinen in der Büchse, verfolgten das Drama auf der Bühne und liefen dabei ständig Gefahr, einen Knuff in die Seite abzubekommen. Manche hatten sogar kleine Flaggen mit dem Stadtwappen von Livorno dabei, mit denen sie von Zeit zu Zeit winkten, vor allem, wenn der Chor in die Handlung eingriff und Musik im Marschrhythmus ertönte.
    Amelie schluckte

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