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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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hören.
    Wer liebte, musste bestraft werden. Das Drama auf der Bühne wurde für Amelie zur endgültigen Bestätigung für die Absurdität der Liebe und wie sie die Menschen zerriss. Sie war von bösen Mächten umgeben, die den Liebenden übel mitspielen wollten.
    Und dann: Isabeaus Schlussarie, und Amelie, die ihre Hand ausstrecken und sie retten wollte. Der letzte Ton, ein hohes C, zusammen mit der anschwellenden Macht des Orchesters, dem abgründigen Donnern der Kontrabasse und der schicksalsschweren Verkündigung der Blasinstrumente, die hochgereckten Hände der Sopranistin, während sie auf die Knie fiel, dann den Kopf senkte und sich das Leben nahm. Die ausgreifenden Armbewegungen des Dirigenten, die diesen letzten kraftvollen Akkord, einen massiven Dreiklang in A-Moll, abschnitten.
    Stille.
    Amelie musste tief durchatmen und die Augen schließen. Schließlich sammelte sie sich und machte sich bereit zu applaudieren. Die Geschichte ihres Lebens war vorüber, und sie war noch ganz erfüllt von dem Gefühl, Zeuge von etwas geworden zu sein, das größer war als das Leben selbst.
    Sie machte eine Armbewegung, ehe sie begriff.
    Im ganzen Theaterraum herrschte vollkommene Stille.
    Dann ertönten einzelne Buhrufe. Anfangs nur aus dem dritten Rang kommend, rollten sie kurz darauf wie Gewitterdonner durch das ganze Theater. Einige Zuschauer erhoben sich und schrien: »Verräter!« »Fahr zurück nach Argentinien!«
    Amelie hörte am Ende nicht mehr, was sie schrien, es war bloß eine Geräuschwand, die ihr entgegengeschleudert wurde. Sie griff nach ihrer Handtasche und versuchte die Sitzreihe zu verlassen. Aber Knie und stoßende Menschen waren ihr im Weg, die nichts anderes im Sinn hatten, als Buhrufe auszustoßen und zu grölen. Am Ende gelang es ihr, sich einen Weg aus dem Parkett und die kleine Treppe zum Foyer hinunter zu bahnen. Durch den Haupteingang gelangte sie ins Freie und schaffte es endlich, einen Hauch frische Luft zu bekommen.
    Sie hatte nicht nur eine Aufführung gesehen, die von ihrem Untergang erzählte. Sie hatte darüber hinaus die Verachtung des Publikums erleben müssen. Sie sah eine Gestalt in einem Cape, die sich aus dem Bühneneingang stahl und in einem wartenden Wagen verschwand. Ein Peitschenhieb, ein kurzes Wiehern, und das mysteriöse Gefährt war verschwunden. Amelie überlegte, dass es Mascagni hätte sein können, der vor seiner Niederlage floh. Sie hätte sich gewünscht, ihm sagen zu können, er solle nicht fliehen, sondern so lange aufrecht stehen bleiben, bis die Menschen begriffen, dass sie ein Meisterwerk gesehen hatten.
    Aber sie wollten kein Meisterwerk, sie wollten die Oper, die er zwanzig Jahre zuvor geschrieben hatte. Sie würden immer nur diese eine Oper haben wollen und sonst nichts. Er hatte keine Wahl. Er musste fliehen. Es war das Einzige, was man tun konnte, wenn man missverstanden und erniedrigt worden war.
    Völlig erschöpft kauerte sie sich auf einer Parkbank zusammen und sah schon bald die Menschen das Theater verlassen. Sie unterhielten sich lebhaft und gestikulierten, ehe sie verschwanden und von neuen Menschen mit ähnlichen Gesten ersetzt wurden, die ganz in ihre lebhaften Diskussionen vertieft zu sein schienen.
    Plötzlich erkannte Amelie, dass sie wie immer seit ihrer Kindheit überreagiert hatte. Ich bin doch gar nicht geflohen, dachte sie laut. Sie blickte zum Sternenhimmel und lachte trocken. Ich bin umgezogen, dachte sie. Umgezogen , nicht mehr und nicht weniger.
    Sie zog einen Taschenspiegel aus ihrer Handtasche und zupfte ihre Frisur zurecht, verlor jedoch rasch die Lust und legte ihn zurück. Menschen strömten weiter die Eingangstreppe herab, aber sie hatte jegliches Interesse an ihnen verloren. Sie bedeuteten ihr nichts mehr.
    Der Abendwind war angenehm kühl, und allmählich besserte sich ihre Laune. Sie befand sich in Rom. Es war ihre Entscheidung gewesen, dorthin zu ziehen. Hier würde sie sich nach der Scheidung von Andreas ein neues Leben aufbauen. Das müde und morsche Stockholm hatte sie gegen die Ewige Stadt eingetauscht.
    Ewig , sie kostete das Wort aus. Die Düfte, das Menschengewimmel, die Wärme, das alles machte es ihr so viel leichter, sich zu entspannen. Es dauerte nur ein paar Tage, bis ihre Gliederschmerzen verschwunden waren, und Gleiches galt für ihre Migräneanfälle. Was spielte es da für eine Rolle, dass man wegen der Hitze manchmal schlecht schlief? Wenn es ihr besonders gut ging, konnte sie hier sogar Klavier spielen, was in

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