Ein unversoehnliches Herz
Schweden, wo die Gliederschmerzen ihre Finger auf den Tasten zu Holzklötzen werden ließen, völlig undenkbar gewesen wäre.
Rheumatismus, hatte der Arzt erklärt und sie mitleidig angesehen. Dann hatte sich seine Miene jedoch erhellt, und er hatte ergänzt: »Aber das sagt man ja heutzutage über alles.« Obwohl seit der Diagnose des Arztes viele Jahre vergangen waren, war sie von dem gleichen Leiden gezeichnet wie ihre Mutter. Es würde sie ihr ganzes Leben begleiten.
Sie dachte an die fantastischen Morgen, von denen die Einwohner und Besucher Roms begrüßt wurden. Sie waren ganz anders als alles, was sie im kalten und vorhersehbaren Schweden jemals erleben durfte. Endlich hatte sie dieses Elend hinter sich gelassen! Hier, dachte sie, ist das Licht des frühen Morgens berauschend und greift einen ebenso an, wie es einen einfühlsam und verlockend liebkost.
Ja, sie hatte sich für Rom entschieden. Kein Mensch hatte sie gezwungen, hierherzukommen. Es war keine Flucht gewesen. Hier würde sie leben und wohnen, hier lag ihre Zukunft, hier lagen noch Überraschungen vor ihr. Schweden war bereits weit weg, gehörte zu einem anderen Leben, zu etwas, das sie aufgegeben und zurückgelassen hatte.
Aber dann sah sie doch die Bilder vor sich. Auf ihrer Parkbank wurde sie in ihre letzten schrecklichen Monate in Schweden zurückversetzt. Andreas’ Reaktion auf ihre Hoffnungen für die Zukunft.
»Es ist zu spät«, sagte er, »es gibt nichts mehr zu retten.«
Sie hatte ihn verständnislos angesehen. Das war, bevor sie erkannte, dass er sich längst entschieden hatte, mit Madeleine zusammenzuleben. Ausgerechnet mit Madeleine. Ihrer besten Freundin.
Als hätte man sie mit glühenden Kohlen überschüttet, so hatte sie sich gefühlt. Und auch wenn sie jetzt vor dem Teatro dell’Opera saß, erinnerte sie sich doch noch gut an das furchtbare Gefühl und wie es sich ihr offenbart hatte. Sie war betrogen worden, als sie wirklich jemanden gebraucht hatte. Es war eine Wunde, die nie ganz verheilen würde.
Als Andreas die Worte Es ist zu spät aussprach, hatte sie im selben Moment beschlossen, Schweden zu verlassen und nie mehr zurückzukehren. Sie hatte am selben Tag gepackt, auch wenn es noch Wochen dauern würde, alles zu regeln.
Als Amelie die rennende Gestalt auf sich zukommen sah, bekam sie augenblicklich ein schlechtes Gewissen. Sie hatte Madeleine, die jetzt die Treppe herabeilte und zu der Parkbank lief, völlig vergessen. Amelie sah, dass Madeleines Hut in den Nacken gerutscht war und am Seidenband baumelte und sie ihren Rock lupfte, um schneller laufen zu können. Dann ließ sie den Rock los und schwang stattdessen die Arme. Sie rennt wie ein Kind, dachte Amelie. Als sie die Parkbank erreicht hatte, war Madeleine außer Atem. Es war unübersehbar, dass sie eine ganze Weile umhergeirrt war und Amelie gesucht hatte.
»Wo bist du denn hin?«, fragte sie mit erschöpfter Stimme und setzte sich neben Amelie keuchend auf die Bank.
»Ich brauchte frische Luft.«
»Aber …«
Madeleine verstummte, als sie sich umdrehte und Amelies Gesicht sah. Amelie lächelte entschuldigend.
»Entschuldige bitte, Madeleine, ich bin in Panik geraten und musste einfach raus.«
»Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Das verstehe ich. Entschuldige.«
»Es war nur … ich wusste doch nicht, wo du hin warst.«
Sie lachten, auch wenn keine von ihnen genau wusste, worüber eigentlich.
»Ich glaube«, sagte Amelie, »dass wir Zeugen eines Opernfiaskos geworden sind, über das man sogar bei uns zu Hause berichten wird.«
»Die Leute waren wie von Sinnen, haben geschrien. Hast du gesehen, dass manche sogar mit Tomaten geworfen haben?«
»Sie haben mit Tomaten geworfen? Du machst Witze.«
»Nein, so wahr ich hier sitze. Und ich habe gedacht, das wäre nur eins von diesen Ammenmärchen. Sie hatten eine ganze Kiste dabei, die sie unter den Leuten verteilt haben, damit auch noch andere werfen konnten. Sie mussten sofort den Vorhang fallen lassen. Er war anschließend voller Tomaten. Ich glaube, die Sopranistin und der Tenor haben auch irgendwelches Gemüse abbekommen.«
»Diese Italiener«, seufzte Amelie.
Sie drehte sich zu Madeleine um und streichelte ihre Wange.
»Und wie hat dir der Abend gefallen?«
»Es ist so albern … aber ich musste daran denken, was für schöne Schuhe alle anhatten.«
Amelie lachte.
»Madeleine, wenn du nur wüsstest, wie lieb ich dich habe.«
Als Amelie gepackt hatte und bereit war, Schweden zu
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