Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
Weil der Bruder nicht begriff, wie sehr es eilte?
Lucien fluchte stumm vor sich hin.
Wenn er zumindest wüsste, wohin man ihn brachte, dann könnte er vielleicht irgendwelche Rückschlüsse ziehen. Doch man ließ ihn im Ungewissen.
Inzwischen war der Seegang rauer geworden, und das Schiff rollte hin und her. Er konnte den Wind selbst unten im Schiffsbauch hören. Ob die Ratten den Wetterumschwung ebenfalls bemerkten? Sie huschten überall herum, manchmal sogar über seine Beine. Erneut versuchte er seine Handgelenke zu befreien, um wenigstens diese Plagegeister verscheuchen zu können.
Aber es brachte nichts. Er zerrte, zog und fluchte und gewann nichts dabei.
»Ich verstehe jetzt, warum Lord Charles es mit der Fertigstellung der neuen Kleider so dringend machte«, sagte die Modistin und betrachtete die merkwürdige Kundin mit unverhohlener Missbilligung. Sie tat so, als habe sie so etwas in ihrem renommierten Salon noch nie erlebt.
Louisa war völlig verunsichert, wie sie reagieren sollte. Was wäre überhaupt angemessen? Sie könnte natürlich höflich erklären, dass ein Landpfarrer außerstande sei, seinen Töchtern eine aufwendige Garderobe zu finanzieren, aber vielleicht erwartete man gar keine Erklärung von ihr.
Und eine Rechtfertigung musste sie erst recht nicht vorbringen.
Nicht als Schwiegertochter eines Dukes. Bereits die wenigen Tage hier in London im Haus der herzoglichen Familie hatten sie gelehrt, dass man sich gegenüber der Dienerschaft, die sich bisweilen recht versnobt gebärdete, nicht unterwürfig zeigen durfte. Und diese Frau vor ihr, klein, dunkel und geschmackvoll in gestreifte Seide gekleidet, mit einer kunstvollen Aufsteckfrisur, rümpfte unverkennbar die Nase über Louisas Aufmachung.
Entschlossen reckte sie das Kinn in die Höhe und bemühte sich um einen selbstsicheren Tonfall. »Mein Mann hat mich hergeschickt, weil er Sie für die beste Schneiderin in London hält. Das ist ihm wichtig, vor allem in Hinsicht auf die Verpflichtungen des Dukes of Sanford, meines Schwiegervaters.«
So, das sollte reichen.
Madame Gardon wirkte nicht unbedingt geschmeichelt, sondern schien die Zurechtweisung erkannt zu haben. Sie schniefte leise. »Mit Eurer blassen Haut sollten wir lieber kräftige Farben wählen. Bitte sagt mir, dass Ihr nicht auf Pastellfarben besteht. Ich habe schon Order gegeben, dass die Stoffballen gebracht werden.«
Kurz darauf ergoss sich ein schier endloser Strom aus Lyoner Seide, Georgette und Musselin über den Tisch. Manche waren mit Blumenmustern bedruckt, andere mit zarten Fäden durchzogen, die das Licht einfingen, wieder andere bestachen durch atemberaubende Schlichtheit. Nach einer halben Stunde blickte Louisa nicht mehr durch.
»Nehmen Sie, was Sie für richtig halten«, sagte sie und wünschte nicht zum ersten Mal, dass Charles sich nicht verspätet hätte. Er sollte eigentlich längst da sein, um sie zu unterstützen. Schließlich gab sie gerade sein Geld aus.
»Also gut.« Madame Gardon erteilte eine Reihe Befehle und schickte die Männer nach draußen, die die schweren Stoffballen angeschleppt hatten. Stattdessen tauchten einige junge Mädchen auf, die Louisa halfen, sich bis aufs Unterhemd auszuziehen. Gerade wurden Maßbänder um ihre Taille und ihre Brust gelegt, als Charles in den Raum geführt wurde.
Er kam nicht allein, sondern befand sich in Begleitung einer älteren Dame, die offensichtlich sehr bedeutend war, denn sofort entstanden im Raum ein aufgeregtes Rascheln und wilde Geschäftigkeit.
Die Schneiderin versank in einen tiefen Knicks. »Euer Gnaden. Welch eine Ehre.«
»Ist es das?« Die Duchess … um eine solche musste es sich der Anrede nach handeln … nahm auf einem bequemen Armsessel Platz. »Bitte sagen Sie mir nicht, dass Sie ernsthaft über dieses Pink nachdenken. Das Kind wird damit aussehen, als würde es noch am Gängelband geführt. Bringen Sie mehr Stoffproben.«
»Selbstverständlich.«
Louisa wusste nicht, ob sie stehen bleiben oder fluchtartig den Raum verlassen sollte. Zum Glück zwinkerte Charles ihr aufmunternd zu.
»Tut mir leid wegen der Verspätung, Liebes.« Er sank in einen Stuhl, und sein wohlwollender Blick glitt über ihren nur spärlich bekleideten Körper. »Aber wenigstens habe ich das Beste nicht verpasst. Darf ich dir die Duchess of Eddington vorstellen? Wir sind uns zufällig in Sanford House über den Weg gelaufen, und sie hat sich erboten, mich zu begleiten.«
Louisa errötete, weil er so beiläufig
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