Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
Freizügigkeit. Bestechlichkeit. Gesellschaftliche Ambitionen. Bestimmt pflegen einige der am meisten gefeierten Ladys diese zweifelhaften Hobbys«, sagte die streitbare alte Dame und blickte spöttisch in die Runde, während Vivian amüsiert beobachtete, wie einige der Besucherinnen betreten wegschauten und andere sich tuschelnd empörten.
Vermittelnd mischte sich in diesem Moment Lillian ein. »Ich bin sicher, der Marquess hat eine plausible Erklärung für sein Fernbleiben. Er ist ein viel beschäftigter Mann mit mannigfachen Verpflichtungen.« Sie lächelte verschwörerisch. »Und selbst dem korrektesten Menschen kann einmal etwas entfallen. Ist es nicht so? Himmel, er muss jetzt vor seiner Hochzeit so einiges bedenken. Apropos Himmel. Euer Gnaden, die Pastetchen sind einfach himmlisch.«
Obwohl sie der Freundin für die Schützenhilfe dankbar war, wusste Vivian genau, dass Lucien die Verabredung nicht vergessen hatte. Irgendetwas war passiert, und sie konnte ihre wachsende Besorgnis kaum verbergen. Auch sein Sekretär und das Hauspersonal wussten nichts.
»Ich denke, so wird es sein.«
Die Duchess duldete keine weiteren Spekulationen, doch als die Gäste sich verabschiedeten, nahm sie Vivian beiseite. »Stocktons Vater gehört zu meinen besten Freunden.«
»So?«
Die Duchess gab ein kleines, fast lautloses Lachen von sich. »Schaut mich nicht so überrascht an, junge Dame. Wir kennen uns seit einer Ewigkeit. Früher war er übrigens ein sehr charmanter junger Mann.«
Vivian nickte. Das hatte sie nicht anders vermutet, denn die Ähnlichkeit mit seinen Söhnen war nicht zu übersehen.
»Lord Stockton ist bei Gott kein Mann, der seine Verlobte absichtlich in Verlegenheit bringen würde.«
»Da denke ich genauso.«
»Unglücklicherweise hat Eure Mutter im Theater herumerzählt, Stockton würde später mit Euch erscheinen. Zu dumm, sonst hätte niemand was gemerkt. Interessanter allerdings als das unausweichliche dumme Geschwätz der Leute finde ich die Frage, was mit ihm geschehen ist.«
Vivian schaute ihre Gönnerin unglücklich an. »Ich weiß es nicht, wirklich. Er ist einfach nicht aufgetaucht, und meine Nachrichten sind bislang ebenfalls unbeantwortet geblieben. Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen?«
»Dann hätte man Euch bestimmt benachrichtigt«, versuchte die Herzoginwitwe sie zu beruhigen. »Jeder weiß schließlich von der Verlobung … Da hättet Ihr als eine der Ersten Bescheid bekommen müssen.« Sie runzelte die Stirn. »Alles wirklich sehr merkwürdig.«
Das war es in der Tat und bereitete ihr mehr und mehr Sorgen. Schließlich hatte es keinen Streit und keine Missstimmung gegeben, im Gegenteil. Oder hatte sie ihn etwa an jenem Nachmittag enttäuscht? Unsinn, wies sie sich zurecht. Für eine solche Vermutung gab es nicht den geringsten Grund. Da musste sie nur an den Kuss zum Abschied denken, der zärtlich und feurig zugleich gewesen war, und an seine geflüsterten sehnsüchtigen Worte, wie sehr er sich auf die Hochzeit freue.
Nein, das alles ergab keinen Sinn.
Er würde sie weder versetzen noch im Ungewissen lassen. Ausgeschlossen. Und sie auf jeden Fall heiraten nach dem, was passiert war.
»Sehr seltsam«, stimmte sie zu. Das leise Beben ihrer Stimme machte ihr Angst.
Die Duchess schien es ebenfalls zu bemerken und tätschelte ihren Arm. »Wir werden der Sache auf den Grund gehen, mein liebes Kind. Bestimmt, das verspreche ich.«
Kapitel 16
Es kostete ihn einige Überwindung, die Stufen zum Londoner Haus der Familie Lacrosse hinaufzusteigen. Aber Charles hatte sich bereits dem Zorn zweier Väter gestellt, da konnte er den dritten gleich mit abhaken. Er übergab seine Karte dem Butler, der ihm die Tür öffnete, und bat, Miss Vivian seinen Besuch zu melden. Mit ihr wollte er als Erste sprechen, weil er sich von ihr Aufklärung über den Verbleib seines Bruders versprach.
Vielleicht wusste sie ja, wohin Lucien so eilig und ohne ein Wort verschwunden war.
»Charles!«
Als sie den Salon betrat, wandte er sich um, und sogleich stürzte sie sich in seine Arme, was sie nie zuvor getan hatte. Eine interessante Entwicklung, dachte er.
Doch sogleich dämmerte ihm, dass hier etwas nicht stimmte, denn das Gesicht, das sich an seine Schulter presste, war blass und der Blick angstvoll. Darüber konnte auch das hübsche neue Kleid nicht hinwegtäuschen.
Ihm war, als würde eine kalte Hand nach seinem Herzen greifen. »Viv, was ist los?«, wollte er wissen und schob sie behutsam auf
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