Ein Vampir für alle Fälle
müssten für den Winter zurückgeschnitten werden, und die Arbeit hatte ich ihr gern überlassen. Für die Rosen war in unserem Haushalt stets meine Großmutter zuständig gewesen, und ich durfte sie nicht anrühren, höchstens mal, wenn sie gegen Blattläuse gespritzt werden mussten.
Zum Lunch kam Jason mit einigen Arbeitskollegen ins Merlotte's. Sie stellten zwei Tische zusammen, es war eine nette Runde gut gelaunter Männer. Kühleres Wetter und keine großen Stürme, das sorgte immer für gute Laune bei den Straßenbautrupps. Jason schien schon fast zu gut aufgelegt, in seinem Kopf herrschte ein wildes Durcheinander, in dem ein Gedanke den nächsten ablöste. Vielleicht war ja bereits etwas in Bewegung geraten dadurch, dass Tanya ihren schlechten Einfluss nicht mehr ausübte. Doch ich gab mir große Mühe, mich aus seinen Gedanken herauszuhalten, schließlich war er mein Bruder.
Als ich ein Tablett voll Coke und Tee an den Tisch brachte, sagte Jason: »Crystal lässt dich grüßen.«
»Wie geht's ihr denn heute?«, fragte ich, um mich angemessen besorgt zu zeigen, und Jason formte mit Zeigefinger und Daumen einen Kreis: bestens also. Ich servierte den letzten Becher Tee, stellte ihn vorsichtig ab, damit nichts überschwappte, und fragte Dove Beck, einen Cousin von Alcee, ob er noch etwas Zitrone wolle.
»Nein, danke«, sagte er höflich. Dove, der schon einen Tag nach dem Schulabschluss geheiratet hatte, war ein ganz anderer Typ als Alcee. Er war jünger, circa dreißig, und in ihm schwelte, soweit ich das beurteilen konnte - und ich konnte es ziemlich gut beurteilen -, nicht diese innere Wut von Detective Beck. Mit einer von Doves Schwestern war ich zur Schule gegangen.
»Wie geht's Angela?«, fragte ich ihn, und er lächelte.
»Sie hat Maurice Kershaw geheiratet«, erzählte er, »und einen Jungen gekriegt, der süßeste Fratz der Welt. Angela ist eine ganz andere Frau geworden - sie raucht und trinkt nicht mehr, und sie geht zur Kirche.«
»Freut mich, das zu hören. Grüß sie von mir«, sagte ich und begann, die Essensbestellungen aufzunehmen. Ich hörte, dass Jason seinen Kumpels noch irgendetwas von einem Zaun erzählte, den er bauen wolle, bekam das aber nicht mehr richtig mit.
Nach dem Essen, als die anderen Männer schon hinaus zu ihren Autos gingen, kam Jason noch mal zu mir. »Sook, würdest du nachher mal bei Crystal vorbeifahren und sehen, wie's ihr geht?«
»Klar, aber bist du dann nicht auch schon mit der Arbeit fertig?«
»Ich muss noch nach Clarice rüber und Maschendraht kaufen. Crystal will, dass wir einen Teil des Hinterhofs für das Kind einzäunen. Damit es einen sicheren Platz zum Spielen hat.«
Es überraschte mich, dass Crystal so viel Voraussicht und mütterlichen Instinkt bewies. Angela Kershaw und ihr kleiner Junge fielen mir ein. Vielleicht würde das Kind auch Crystal verändern?
Ich wollte gar nicht nachzählen, wie viele Frauen, die jünger waren als ich, bereits seit Jahren verheiratet waren und Kinder hatten - oder auch nur Kinder hatten. Neid war eine der sieben Todsünden, sagte ich mir und strengte mich doppelt an, jedem lächelnd zuzunicken. Zum Glück war heute viel zu tun. Als das Geschäft am Nachmittag etwas abflaute, bat Sam mich, ihm bei der Inventur im Lagerraum zu helfen. Es waren nur noch die beiden stadtbekannten Trinker da, und die konnte Holly problemlos allein bedienen. Da ich ein wenig Angst hatte, mit Sams Blackberry irgendetwas falsch zu machen, gab er die Summen ein und ich zählte. So an die fünfzig Mal kletterte ich die Leiter rauf und runter, zählte, wirbelte Staub auf und zählte weiter. Unsere Reinigungsmittel kauften wir en gros, und auch die zählte ich. Irgendwann bestand alles nur noch aus Zahlen.
Im Lagerraum gab es kein Fenster, daher wurde es ziemlich warm, während wir darin arbeiteten. Ich war froh, aus dem vollgestopften, beengten Raum rauszukommen, als Sam endlich zufrieden war. Ich zupfte ihm eine Spinnwebe aus dem Haar, bevor ich zur Toilette ging, wo ich mir die Hände schrubbte, vorsichtig das Gesicht abwischte und nachsah, ob sich in meinem Pferdeschwanz auch Spinnweben verfangen hatten.
Auf dem Heimweg freute ich mich so sehr auf eine Dusche, dass ich beinahe links abgebogen und nach Hause gefahren wäre. Gerade noch rechtzeitig erinnerte ich mich, dass ich versprochen hatte, bei Crystal vorbeizuschauen. Also bog ich rechts ab.
Jason wohnte im Haus meiner Eltern, das er sehr schön hergerichtet hatte. Auf sein Haus war
Weitere Kostenlose Bücher