Ein Vampir für alle Fälle
nicht darüber reden«, sagte ich, obwohl ich urplötzlich dachte, wie gut es täte, Sam davon zu erzählen.
Doch ich konnte einfach nicht, nicht hier im überfüllten Merlotte's.
»Du weißt, dass ich immer für dich da bin, wenn du mich brauchst.« Mit ernster Miene klopfte er mir auf die Schulter.
Ich hatte wirklich Glück, einen Boss wie Sam zu haben.
Sams Verhalten erinnerte mich daran, dass ich viele Freunde hatte, die nicht so ehrlos handeln würden wie Crystal. Auch Jason hatte ehrlos gehandelt, als er Calvin und mich zu unfreiwilligen Zeugen von Crystals billigem Betrug gemacht hatte. Ich hatte so viele Freunde, die niemals so handeln würden! Und dass ausgerechnet mein eigener Bruder so gehandelt hatte, war eben Schicksal.
Nach diesem Gedanken fühlte ich mich schon etwas stärker.
Als ich schließlich nach Hause kam, war niemand da. Ich zögerte. Sollte ich Tara anrufen oder Sam bitten, sich eine Stunde freizunehmen, oder sogar Bill fragen, ob er mich nach Hotshot begleiten würde ... aber da sprach die reine Schwäche aus mir. Das war ganz allein meine Angelegenheit. Calvin hatte mir geraten, mich bequem anzuziehen und nicht zu schick. Das traf beides auf meine Merlotte's-Kluft zu. Aber es erschien mir falsch, zu einem Ereignis wie diesem in Arbeitskleidung zu erscheinen. Vielleicht würde es blutig zugehen, keine Ahnung. Ich wusste ja nicht, was mich erwartete. Und so zog ich eine Yogahose und ein altes graues Sweatshirt an und sorgte dafür, dass mein Haar fest zurückgebunden war. Ich sah aus, als wollte ich zum Hausputz antreten.
Auf der Fahrt nach Hotshot schaltete ich das Radio ein und sang aus voller Kehle mit, um nicht nachdenken zu müssen. Ich traf die richtigen Töne bei Evanescence und stimmte den Dixie Girls zu, dass man auf keinen Fall klein beigeben durfte ... › Not Ready to Make Nice ‹ , ein Song, der einem richtig den Rücken stärkte.
Lange vor sieben kam ich in Hotshot an. Zum letzten Mal war ich zu Jasons Hochzeit hier draußen gewesen, auf der ich mit Quinn getanzt hatte. Dieser Besuch von Quinn bei mir war der einzige gewesen, bei dem wir Sex gehabt hatten. Im Nachhinein tat es mir leid, dass ich diesen Schritt getan hatte. Es war ein Fehler gewesen. Ich hatte auf eine Zukunft gesetzt, die es nie geben würde. Überstürzt gehandelt. Hoffentlich machte ich diesen Fehler nicht noch einmal.
Ich parkte, wie am Abend von Jasons Hochzeitsfeier, am Straßenrand. Es waren nicht annähernd so viele Autos da wie damals, als auch viele Reguläre unter den Gästen gewesen waren. Aber ein paar von auswärts waren da. Ich sah Jasons Pick-up; und die anderen gehörten wohl den wenigen Werpanthern, die nicht in Hotshot wohnten.
Hinter Calvins Haus hatte sich bereits eine kleine Menge eingefunden. Die Leute machten mir den Weg frei, bis ich in die Mitte der Versammlung vorgedrungen war und auf Crystal, Jason und Calvin traf. Einige andere der Anwesenden kannte ich. Eine Werpantherin mittleren Alters namens Maryelizabeth nickte mir zu. Ihre Tochter stand neben ihr. Das Mädchen, an dessen Namen ich mich nicht erinnerte, war nicht der einzige Teenager unter den Zuschauern. Wie jedes Mal, wenn ich mir das tägliche Leben hier draußen in Hotshot vorstellte, beschlich mich dieses unheimliche Gefühl, bei dem sich mir jedes Haar einzeln aufstellte.
Calvin starrte zu Boden, und er sah auch nicht auf, als ich zu ihnen trat. Jason wich meinem Blick ebenfalls aus. Nur Crystal stand aufrecht und trotzig da, und ihre dunklen Augen suchten meine, als wollte sie testen, ob ich es wagen würde, ihren Blick niederzuzwingen. Ich wagte es, und einen Augenblick später schweifte ihr Blick irgendwo ins Unbestimmte ab.
Maryelizabeth hielt ein zerfleddertes schwarzes Buch in der Hand und öffnete es an einer Stelle, die sie mit einem herausgerissenen Stück Zeitungspapier gekennzeichnet hatte. Stille breitete sich aus, und die Werpanther lauschten. Nun ging es um den Anlass dieser Versammlung.
»Wir vom Stamm derer mit Reißzahn und Kralle sind hier zusammengekommen, da eine von uns ihr Gelöbnis gebrochen hat«, las Maryelizabeth vor. »Bei ihrer Heirat haben Crystal und Jason, beide Werpanther dieser Gemeinde, versprochen, ihre Ehegelöbnisse einzuhalten, nach Katzenart und Menschenart. Für Crystal hat ihr Onkel Calvin gebürgt und für Jason seine Schwester Sookie.«
Ich bemerkte, wie die Blicke der versammelten Gemeinde von Calvin zu mir wanderten. Sehr viele dieser Augen waren goldgelb. Die
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