Ein Vampir für alle Fälle
fielen, zählte das wohl nicht so recht.
Also lauschte ich der Predigt. Reverend Collins sprach darüber, dass wir Gott geben sollten, was Gott gebührte, und Caesar, was Caesar gebührte. Mir erschien das wie eine Predigt zum 15. April, dem alljährlichen Abgabetermin der Steuererklärung, und ich ertappte mich bei der Frage, ob Reverend Collins seine Steuern wohl vierteljährlich zahlte. Doch nach einer Weile begriff ich es. Er sprach darüber, dass wir alle täglich Gesetze übertraten, ohne uns schuldig zu fühlen - wenn wir die Geschwindigkeitsbeschränkung missachteten oder wieder mal das Extraporto für den Brief nicht zahlten, den wir in ein Geschenkpaket mit hineingelegt hatten.
Ich lächelte Reverend Collins an, als ich aus der Kirche trat. Er wirkte immer ein wenig besorgt, wenn er mich sah.
Auf dem Parkplatz begrüßte ich Maxine Fortenberry und ihren Mann Ed. Maxine war eine so füllige, eindrucksvolle Erscheinung, dass Ed daneben stets schüchtern und still wirkte, ja fast unsichtbar. Ihr Sohn Hoyt war der beste Freund meines Bruders Jason. Hoyt stand hinter seiner Mutter, in einem Anzug und mit frisch geschnittenen Haaren. Interessante Anzeichen.
»Schätzchen, lass dich umarmen!«, rief Maxine, und das tat ich natürlich. Maxine war eine gute Freundin meiner Großmutter gewesen, auch wenn sie eher in dem Alter war, in dem mein Vater heute wäre. Ich lächelte Ed zu und winkte Hoyt.
»Gut siehst du aus«, sagte ich zu ihm, und er lächelte. Wow, so hatte ich Hoyt ja noch nie lächeln sehen. Ich sah Maxine an. Sie grinste.
»Hoyt geht mit dem Mädchen aus, das mit dir im Merlotte's arbeitet«, erklärte sie. »Holly. Sie hat einen kleinen Jungen, und so was muss man sich gut überlegen, aber Hoyt mochte Kinder schon immer.«
»Das wusste ich gar nicht«, sagte ich. In letzter Zeit hatte ich kaum noch etwas mitbekommen. »Das ist ja großartig, Hoyt. Holly ist ein nettes Mädchen.«
Ganz so hätte ich es wohl nicht ausgedrückt, wenn ich einen Augenblick Zeit gehabt hätte, darüber nachzudenken; aber vielleicht war's gut, dass ich es nicht getan hatte. Es sprach vieles für Holly - sie war eine treue Freundin, eine fähige Kollegin und ihrem Sohn Cody eine hingebungsvolle Mutter -, und sie war schon einige Jahre geschieden, Hoyt war also kein Lückenbüßer. Ich fragte mich nur, ob Holly Hoyt erzählt hatte, dass sie eine Wicca war. Nein, hatte sie nicht, sonst würde Maxine nicht so erfreut lächeln.
»Wir treffen uns mit ihr zum Lunch bei Sizzler«, sagte sie und meinte das Steakhouse bei der Autobahn. »Holly ist keine große Kirchgängerin, aber wir hoffen, dass sie uns bald einmal zusammen mit dem kleinen Cody begleitet. Wir machen uns jetzt besser auf den Weg, sonst kommen wir noch zu spät.«
»Gut gemacht, Hoyt«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter, als er an mir vorbeiging. Er sah glücklich aus.
Alle um mich herum heirateten oder verliebten sich. Und immer freute ich mich und war glücklich für sie. Glücklich, glücklich, glücklich. Mit meinem immerwährenden Lächeln im Gesicht fuhr ich zum Supermarkt Piggly Wiggly und fischte Amelias Einkaufsliste aus der Handtasche. Ganz schön lang, aber inzwischen gab's sicher schon wieder Ergänzungen. Also rief ich sie mit dem Handy an, und richtig, drei weitere Dinge waren ihr eingefallen. So verbrachte ich also eine ganze Weile in dem Laden.
Meine Arme wurden immer länger, als ich schließlich mit schweren Plastiktüten in den Händen die Stufen zur hinteren Veranda hinaufwankte. Amelia lief zu meinem Auto, um die restlichen Tüten hereinzuholen. »Wo warst du denn so lange?«, fragte sie, als hätte sie bereits ungeduldig auf mich gewartet.
Ich sah auf meine Armbanduhr. »Ich bin von der Kirche direkt in den Supermarkt gefahren«, sagte ich, als müsste ich mich rechtfertigen. »Es ist doch erst eins.«
Amelia lief noch einmal an mir vorbei, schwer beladen und mit einem verzweifelten Kopfschütteln. Der Laut, den sie dabei von sich gab, klang wie ein einziges lang gezogenes Arrrrrrgh.
Und auch den ganzen restlichen Nachmittag führte Amelia sich auf, als müsste sie sich auf die Verabredung ihres Lebens vorbereiten.
Ich kann eigentlich ganz gut kochen, doch Amelia ließ mich bei der Zubereitung des Abendessens bloß die niederen Hilfsarbeiten verrichten. Ich durfte Gemüse putzen und schneiden. Ach ja, und sie ließ mich das Arbeitsgeschirr abwaschen. Ich hatte mich immer gefragt, ob sie wohl auch wie die Märchenhexen im
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