Ein Vampir für alle Fälle
dachte ich und wünschte, ich besäße welche aus Stoff und nicht nur die üblichen aus Papier. (Ja, so eine Wirkung übte Octavia Fant auf mich aus, und das ganz ohne jede Hexerei.) Ich hörte im Badezimmer Wasser rauschen, als ich gerade eine Handvoll Kekse auf einen Teller legte und diesen zu dem übrigen Arrangement dazustellte. Das Einzige, was jetzt vielleicht noch fehlte, dachte ich, waren Blumen in einer kleinen Vase. Aber ich hatte weder das eine noch das andere. Also ergriff ich das Tablett und marschierte langsam den Flur entlang ins Wohnzimmer.
Ich setzte das Tablett auf dem Couchtisch direkt vor Ms Fant ab, die mich mit ihrem bohrenden Blick ansah und mir mit einem knappen Kopfnicken dankte. Erst da fiel mir auf, dass ich ihre Gedanken nicht lesen konnte. Ich hatte mich bisher zurückgehalten, um mich ihr im richtigen Moment mit der einer Hexe ihres Ranges gebührenden Aufmerksamkeit zu nähern. Doch ganz offensichtlich konnte Octavia Fant mich aus ihren Gedanken ausschließen. Noch nie war mir ein Mensch begegnet, dem das gelang. Einen Augenblick lang war ich fast verärgert, aber dann erinnerte ich mich daran, wer und was sie war, und ging in mein Schlafzimmer, um mein Bett zu machen und mein eigenes kleines Bad aufzusuchen. Auf dem Flur traf ich Amelia, die mich verängstigt anblickte.
Tut mir leid, Amelia , dachte ich, als ich die Tür meines Zimmers hinter mir schloss. Da musst du allein durch.
Meine Schicht im Merlotte's begann heute erst am späten Nachmittag, und so zog ich eine alte Jeans an und ein Fangtasia-Shirt (»Die Bar mit Biss«). Das hatte Pam mir geschenkt, als die Bar begann, aus Marketinggründen solche T-Shirts zu verkaufen. Ich schlüpfte in ein Paar Crocs, dann lief ich in die Küche, um endlich zu meinem eigenen Getränk zu kommen, das ich morgens so dringend benötigte: Kaffee. Ich machte mir ein paar Toasts und griff nach der Lokalzeitung, die ich mit hereingebracht hatte, als ich Octavia Fant die Tür aufgemacht hatte. Ich überflog die Schlagzeilen auf der ersten Seite. Der Schulaufsichtsrat hatte getagt, der hiesige Wal-Mart hatte dem Boys & Girls Club für sein Jugendfreizeitprogramm eine großzügige Spende zukommen lassen, und Louisiana hatte das Gesetz zur rechtlichen Anerkennung von Ehen zwischen Vampiren und Menschen verabschiedet. Sehr gut. Niemand hatte damit gerechnet, dass dieses Gesetz jemals in Kraft treten würde.
Ich schlug die Zeitung auf und las die Todesanzeigen. Zuerst die der im Ort Verstorbenen - keiner darunter, den ich kannte, gut. Dann die der Toten aus dem Landkreis - oh nein.
MARIA-STAR COOPER, lautete die Überschrift, und im Text hieß es lediglich: »Maria-Star Cooper, 25, Einwohnerin von Shreveport, verstarb gestern unerwartet in ihrem Apartment. Cooper, eine Fotografin, hinterlässt ihre Eltern, Matthew und Stella Cooper aus Minden, Louisiana, sowie drei Brüder. Angaben zur Beerdigung folgen.«
Mir stockte der Atem. Ungläubig sank ich in den harten Küchenstuhl zurück. Ich war nicht richtig mit Maria-Star befreundet gewesen, aber ich hatte sie gemocht. Außerdem war sie bereits seit einiger Zeit mit Alcide Herveaux, einem wichtigen Mitglied des Werwolfrudels von Shreveport, zusammen gewesen. Der arme Alcide! Schon seine erste Freundin war eines gewaltsamen Todes gestorben, und jetzt das.
Als das Telefon klingelte, sprang ich sofort auf. Mit dem schrecklichen Gefühl einer drohenden Katastrophe griff ich nach dem Hörer. »Hallo?«, sagte ich vorsichtig, als könnte das Telefon explodieren.
»Sookie«, sagte Alcide mit seiner tiefen Stimme, die ganz heiser war vom Weinen.
»Es tut mir so leid«, erwiderte ich. »Ich habe es gerade in der Zeitung gelesen.« Es gab nichts zu beschönigen. Nun wusste ich, warum er gestern Abend angerufen hatte.
»Sie wurde ermordet«, sagte Alcide.
»Oh mein Gott.«
»Sookie, das war erst der Anfang. Es besteht die Möglichkeit, dass Furnan auch hinter dir her ist. Du musst auf der Hut sein.«
»Die Warnung kommt zu spät«, sagte ich nach kurzem Schweigen. Ich hatte einen Moment gebraucht, um die entsetzliche Neuigkeit richtig einzuordnen. »Gestern Abend hat bereits jemand versucht, mich zu ermorden.«
Alcide hielt das Telefon von sich weg und stieß ein Wolfsgeheul aus. Es war heller Tag, und ich hörte es nur übers Telefon... trotzdem war es furchterregend.
Im Werwolfrudel von Shreveport brodelte es schon seit geraumer Zeit. Das wusste sogar ich, die mit Werwolfpolitik sonst nichts zu tun
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