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Ein Vampir für alle Fälle

Ein Vampir für alle Fälle

Titel: Ein Vampir für alle Fälle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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Morgenluft lag ein eisiger Hauch, der mich daran erinnerte, dass wir trotz der milden und sonnigen Tage bereits Oktober hatten. Manchmal war noch an Halloween ein Pullover zu warm gewesen, manchmal hatte man aber auch schon einen leichten Mantel gebraucht, wenn man »Süßes oder Saures« rufend von Tür zu Tür ging-
    Durch den Türspion sah ich eine ältere Schwarze mit einem Heiligenschein aus weißem Haar um den Kopf. Sie war vergleichsweise hellhäutig, und ihre Gesichtszüge zeigten schmale, scharfe Konturen: Nase, Lippen, Augen. Sie trug einen tiefroten Lippenstift und einen gelben Hosenanzug. Doch sie schien nicht bewaffnet zu sein oder irgendwie gefährlich. Da sieht man mal, wie falsch erste Eindrücke sein können. Ich öffnete die Tür.
    »Junge Lady, ich bin hier, um Amelia Broadway zu besuchen«, informierte die Frau mich in äußerst korrekt gesprochenem Englisch.
    »Kommen Sie bitte herein«, sagte ich, da sie schon eine ältere Dame war und man mich dazu erzogen hatte, das Alter zu ehren. »Nehmen Sie bitte Platz.« Ich deutete auf das Sofa. »Ich gehe nach oben und hole Amelia.«
    Mir fiel auf, dass sie sich weder dafür entschuldigt hatte, mich so früh aus dem Bett geholt zu haben, noch dafür, hier so unangemeldet aufzukreuzen. Ich stieg die Treppe in der dunklen Vorahnung hinauf, dass Amelia über meine Nachricht gar nicht begeistert sein würde.
    Ich ging so selten in den ersten Stock hinauf, dass ich überrascht war, wie schön Amelia alles hergerichtet hatte. Die Zimmer oben waren nur mit dem Nötigsten möbliert gewesen, und Amelia hatte aus dem auf der rechten Seite, dem größeren, ihr Schlafzimmer gemacht und aus dem links ein Wohnzimmer. Darin standen ihr Fernseher, ein Sessel und eine Ottomane, ein kleiner Computertisch mit ihrem Notebook und zwei, drei Pflanzen. Das Schlafzimmer, laut Familienchronik von einer Generation Stackhouses gebaut, die in schneller Folge drei Söhne gezeugt hatte, war nur mit einem kleinen eingebauten Schrank ausgestattet. Doch Amelia hatte irgendwo im Internet Kleiderständer auf Rollen gekauft und diese geschickt verdeckt von einem dreiteiligen Wandschirm aufgestellt, den sie bei einer Versteigerung ergattert und neu angepinselt hatte. Der leuchtende Bettüberwurf und das alte, ebenfalls gestrichene Tischchen, das sie als Schminktisch benutzte, boten einen farbenfrohen Kontrast zu der weiß getünchten Wand. Und inmitten all dieser Fröhlichkeit befand sich eine missmutige Hexe.
    Amelia saß aufrecht im Bett, das kurze Haar stand ihr wild vom Kopf ab. »Wer ist denn das da unten?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme.
    »Eine ältere schwarze Lady, ziemlich hellhäutig. Hat was Strenges an sich.«
    »Oh mein Gott«, hauchte Amelia und fiel in ihre Dutzend oder mehr Kissen zurück. »Octavia.«
    »Du musst herunterkommen und mit ihr sprechen. Ich kann sie nicht allein unterhalten.«
    Amelia grummelte vor sich hin, fügte sich aber in das Unvermeidliche. Sie stand auf, zog das Nachthemd aus, BH und Slip an, stieg in die nächstbeste Jeans und holte irgendeinen Pullover aus der Kommode.
    Ich lief wieder hinunter, um Octavia Fant mitzuteilen, dass Amelia gleich komme. Um ins Badezimmer zu gelangen, musste Amelia direkt an ihr vorbei, weil es im Haus nur diese eine Treppe gab. Nun, ich könnte zumindest für eine gute Atmosphäre sorgen.
    »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«, fragte ich die ältere Dame, die ihre hellbraunen Augen interessiert durchs Wohnzimmer schweifen ließ.
    »Wenn Sie Tee haben, nehme ich gern eine Tasse«, sagte Octavia Fant.
    »Ja, Ma'am, haben wir.« Was für ein Glück, dass Amelia darauf bestanden hatte, Tee einzukaufen. Ich hatte keine Ahnung, welche Sorte es war, und konnte nur hoffen, dass es sich um Teebeutel handelte, denn losen Tee hatte ich noch nie in meinem Leben aufgebrüht.
    »Gut«, sagte sie. Das war alles.
    »Amelia kommt gleich herunter«, begann ich und überlegte, wie ich auf elegante Weise hinzufügen könnte: »Und sie muss hier durchs Zimmer flitzen, um aufs Klo gehen und sich die Zähne putzen zu können. Achten Sie einfach gar nicht auf sie.« Doch das war von vornherein eine verlorene Sache, und so floh ich in die Küche.
    Ich fand Amelias Tee in einem der für sie reservierten Schrankfächer, und während das Wasser langsam heiß wurde, holte ich zwei Tassen und Untertassen heraus und stellte sie auf ein Tablett. Ich tat noch eine Zuckerdose dazu, ein kleines Milchkännchen und zwei Teelöffel. Servietten! ,

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