Ein Vampir für alle Fälle
Bein. Es war die Hand mit dem Messer.
»Nicht«, sagte ich. »Es führt zu nichts.« Ich konnte bloß hoffen, dass Victor ihr Vorhaben nicht bemerkt hatte.
Eric saß mit weit aufgerissenen Augen da und starrte mit blau glühendem Blick in die Zukunft. Das Schweigen zog sich immer länger hin.
Und dann passierte etwas völlig Unerwartetes. Frannie erwachte aus ihrer Trance, öffnete den Mund und begann zu schreien. Schon bei ihrem ersten Laut erzitterte meine Haustür unter einem dumpfen Schlag. Innerhalb von Sekunden splitterte das Holz, weil Quinn sich mit seinen ganzen vierhundertfünfzig Pfund dagegenwarf. Blitzschnell rannte Frannie hin, zerrte am Türknauf und riss die Tür auf, noch ehe Victor sie zurückhalten konnte. Er verfehlte die junge Frau nur um Haaresbreite.
Quinn polterte so ungestüm ins Haus, dass er seine Schwester zu Boden warf. Schützend blieb er über ihr stehen und brüllte uns alle an.
Victor musste man zugutehalten, dass er überhaupt keine Angst zeigte. »Quinn, hör mir zu«, sagte er.
Quinn war sofort still. Es war immer schwierig zu beurteilen, wie viel Mensch ein Gestaltwandler in seiner Tiergestalt noch bewahrte. Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass die Werwölfe mich vollkommen verstanden, und mit Quinn in Tigergestalt hatte ich früher auch schon problemlos geredet. Doch Frannies Geschrei hatte seine Wut entfesselt, und nun schien er nicht zu wissen, wohin damit. Während Victor all seine Aufmerksamkeit auf Quinn richtete, fischte ich eine Karte aus meiner Tasche.
Es war mir höchst unangenehm, den Rettungsjoker meines Urgroßvaters schon so früh einsetzen zu müssen, und noch unangenehmer, ihn ohne Vorwarnung in ein Zimmer voll Vampire zu rufen. Doch wenn es je einen Zeitpunkt für das Einschreiten höherer Elfenmächte gegeben hatte, dann jetzt. Vielleicht hatte ich sogar schon zu lange gewartet. Mein Handy steckte in der Tasche meiner Schlafanzughose. Heimlich zog ich es heraus. Herrje, hätte ich seine Telefonnummer bloß als Kurzwahl gespeichert! Noch ein Blick auf die Visitenkarte, dann tippte ich rasch die Zahlen ein. Victor sprach noch immer mit Quinn und versuchte ihm zu erklären, dass Frannie überhaupt nichts geschehen war.
Na, hatte ich nicht alles richtig gemacht? Hatte ich nicht gewartet, bis ich Nialls Hilfe wirklich brauchte, ehe ich ihn rief? War es nicht clever von mir, seine Visitenkarte und mein Handy dabeizuhaben?
Aber selbst wenn man alles richtig macht, erweist es sich manchmal als falsch.
Die Verbindung hatte sich gerade aufgebaut, da riss mir jemand das Handy aus der Hand und warf es an die Wand.
»Ihn dürfen wir hier nicht reinziehen«, flüsterte Eric mir ins Ohr, »sonst beginnt ein Krieg, in dem alle von uns sterben.«
Er meinte vermutlich alle seine Leute, denn ich war mir ziemlich sicher, dass mein Urgroßvater mich auch aus einem Krieg heil herausholen konnte. Aber es hatte keinen Sinn, das jetzt zu diskutieren. Ich sah Eric mit einem Ausdruck an, der Hass schon recht nahekam.
»Es gibt niemanden, der Ihnen in dieser Situation helfen könnte«, sagte Victor Madden selbstgefällig. Doch dann sah er plötzlich etwas weniger zufrieden drein, so als hätte er noch mal nachgedacht. »Es sei denn, es gibt etwas, das ich nicht über Sie weiß«, fügte er hinzu.
»Es gibt vieles, das Sie nicht über Sookie wissen.« Zum ersten Mal, seit Madden das Haus betreten hatte, ergriff Bill das Wort. »Zum Beispiel, dass ich für sie sterben würde. Wenn Sie ihr Schaden zufügen, töte ich Sie.« Bills dunkler Blick wanderte zu Eric. »Kannst du von dir dasselbe sagen?«
Das konnte Eric nicht, was ihn in dem Spiel »Wer liebt Sookie mehr?« ins Hintertreffen brachte. Doch darauf kam es im Moment nicht an. »Außerdem sollten Sie eines wissen«, sagte Eric stattdessen zu Victor. »Und das ist sogar noch wichtiger: Falls Sookie irgendetwas zustößt, werden Truppen in Gang gesetzt, von denen Sie nicht einmal eine Vorstellung haben.«
Victor wurde sehr nachdenklich. »Das könnte natürlich eine leere Drohung sein«, sagte er. »Aber aus irgendeinem Grund glaube ich Ihnen. Falls Sie jedoch diesen Tiger dort meinen - ich glaube kaum, dass er uns alle für sie töten würde, da wir seine Mutter und seine Schwester in unserer Gewalt haben. Und der Tiger wird sich schon jetzt für so einiges verantworten müssen, weil wir seine Schwester hier angetroffen haben.«
Amelia war zu Frannie hinübergekrochen und hatte den Arm um sie gelegt, um sie zu beruhigen
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