Ein Vampir für alle Fälle
äußeren Umstände seines Daseins zu verdauen versuchte. Ich konnte seine Gedanken zwar nicht lesen, aber so viel wusste ich. Er ging den Flur entlang, vielleicht weil er ein wenig Privatsphäre brauchte bei der Neuausrichtung seiner Zukunft.
Victor ging nach draußen zu seinen Leuten, und ich hörte sie »Ja! Ja! « schreien, als hätte ihr Lieblingsverein ein Tor geschossen - was genau genommen wohl auch der Fall war.
Ich selbst fühlte mich ein wenig wacklig auf den Beinen, und meine Gedanken waren derart aufgewühlt, dass sie kaum noch Gedanken genannt werden konnten. Bill legte den Arm um mich und drückte mich auf das Sofa, auf den Platz, den Eric freigemacht hatte. Seine kalten Lippen fuhren über meine Wange. Ich hätte ein Herz aus Stein haben müssen, wenn mich seine kleine Rede an Victor vorhin - ich hatte sie nicht vergessen, egal, wie schrecklich die Nacht verlaufen war - nicht angerührt hätte. Und ich hatte kein Herz aus Stein.
Bill kniete plötzlich vor mir nieder, das weiße Gesicht zu mir erhoben. »Ich hoffe, eines Tages kehrst du zu mir zurück«, sagte er. »Aber ich werde dir meine Gesellschaft oder mich selbst nie aufdrängen.« Und dann stand er auf und ging hinaus zu den anderen, um seine neuen Vampirverbündeten kennenzulernen.
Okay. Okay .
Du meine Güte! Und die Nacht war noch nicht mal vorüber.
Erschöpft trottete ich zu meinem Schlafzimmer und drückte die Tür auf, um mir das Gesicht zu waschen, die Zähne zu putzen, die Haare zu bändigen ... irgendwas, damit ich mich nicht mehr so zerschlagen fühlte.
Eric saß auf meinem Bett, das Gesicht in den Händen vergraben.
Als ich eintrat, sah er auf. Er wirkte schockiert. Na, kein Wunder, nach diesem traumatischen Machtwechsel und den tief greifenden Veränderungen, die Louisiana bevorstanden.
»Hier auf deinem Bett zu sitzen, deinen Geruch einzuatmen«, sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstand. »Sookie... ich erinnere mich an alles.«
»Oh, zur Hölle! «, rief ich, lief ins Bad und schloss die Tür hinter mir. Und kämmte mir das Haar und putzte mir die Zähne und wusch mir das Gesicht ... doch irgendwann musste ich wieder hinausgehen. Ich wäre ja genauso feige wie Quinn gewesen, wenn ich mich der Situation nicht gestellt hätte.
Eric begann sofort zu reden, als ich wieder auftauchte. »Ich kann nicht glauben, dass ich...«
»Ja, ja, ich weiß ... eine Menschenfrau geliebt habe, all diese Versprechungen gemacht, Süßholz geraspelt, immer mit dir zusammenbleiben wollte«, murmelte ich. Diese Szene konnte man doch sicher etwas abkürzen.
»Ich kann nicht glauben, dass ich so viel empfunden habe für dich und zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren so glücklich war«, sagte Eric mit einer gewissen Würde. »Warum glaubst du mir das nicht?«
Ich rieb mir die Stirn. Es war mitten in der Nacht, ich hatte dem Tod ins Auge geblickt, und der Mann, mit dem ich zusammen war, gab in meinem Kopf plötzlich ein völlig anderes Bild ab. Und auch wenn »seine« Vampire jetzt auf derselben Seite standen wie »meine«, war ich rein gefühlsmäßig den Vampiren aus Louisiana doch viel stärker verbunden - selbst wenn einige von ihnen auch extrem furchterregend gewesen waren. Würden Victor Madden und seine Leute etwa weniger Angst einflößend sein? Wohl kaum. Schon in dieser Nacht hatten sie einige Vampire getötet, die ich gekannt und gemocht hatte.
Und jetzt obendrauf auch noch Eric, der eine Offenbarung gehabt hatte. Das wurde mir einfach alles zu viel.
»Können wir darüber nicht ein andermal reden, wenn wir schon darüber reden müssen?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er nach längerem Schweigen. »Ja. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt.«
»Ich weiß nicht, ob es für dieses Gespräch einen richtigen Zeitpunkt gibt.«
»Aber wir werden es führen«, sagte Eric.
»Eric ... oh, okay.« Mit einer Handbewegung gab ich ihm zu verstehen, dass das Thema damit für mich erledigt sei. »Ich bin froh, dass die neuen Herrscher dich behalten wollen.«
»Es hätte dich geschmerzt, wenn ich gestorben wäre.«
»Ja, wir sind durch Blutsbande und so weiter und so weiter und so weiter.«
»Das meine ich nicht.«
»Okay. Okay, du hast recht. Es hätte mich geschmerzt, wenn du gestorben wärst. Aber ich wäre höchstwahrscheinlich auch gestorben, also hätte es mich nicht allzu lange geschmerzt. Könntest du jetzt bitte verschwinden?«
»Oh, klar«, sagt er, und da sah ich schon wieder den alten Eric aufflackern. »Ich verschwinde
Weitere Kostenlose Bücher