Ein Vampir für alle Fälle
Bestimmtes in der Stadt zu erledigen, ich wollte nur endlich Amelias Vater entkommen. Ich hielt beim Supermarkt und kaufte Küchenpapier, Brot und Thunfisch ein, und dann fuhr ich noch bei Sonic vorbei und gönnte mir ein dickes fettes Eis. Oh ja, ich war ein böses Mädchen, daran bestand kein Zweifel. Ich saß in meinem Wagen und leckte noch an dem Eis, als ich ein paar Autos weiter ein interessantes Paar entdeckte. Anscheinend hatten die beiden mich nicht bemerkt, denn Tanya und Arlene unterhielten sich angeregt. Sie saßen in Tanyas Mustang. Arlenes Haar war frisch gefärbt, also flammend rot bis an die Haarwurzeln, und wurde von einem Bananenclip zurückgehalten. Sie trug ein Stricktop im Tigermuster, mehr konnte ich von ihrem Outfit nicht erkennen. Tanya hatte eine schöne hellgrüne Bluse an und darüber eine dunkelbraune Strickjacke. Und sie hörte Arlene aufmerksam zu.
Ich versuchte mir vorzustellen, dass die beiden sich über etwas ganz anderes unterhielten als über mich. Paranoid oder so was war ich schließlich nicht. Aber wenn man seine einstige gute Freundin mit seiner erklärten Feindin reden sieht, muss man die Möglichkeit, dass sie auf ziemlich unvorteilhafte Weise über einen herziehen, wenigstens in Erwägung ziehen.
Es ging gar nicht darum, dass sie mich nicht leiden konnten. Ich hatte schon mein ganzes Leben mit Leuten zu tun, die mich nicht leiden konnten. Und ich wusste sogar immer haargenau, warum und wie sehr sie mich nicht leiden konnten. Was ziemlich unerfreulich ist, wie sich jeder vorstellen kann. Doch mich beunruhigte eher der Gedanke, dass Arlene und Tanya womöglich schon so weit waren, mir wirklich etwas antun zu wollen.
Ich überlegte, wie ich das herausfinden könnte. Wenn ich mich ihnen näherte, würden sie mich sofort bemerken. Konnte ich sie vielleicht auch von meinem Auto aus »lesen«? Mal ausprobieren. Ich beugte mich vor, als würde ich an meinem CD-Player hantieren, und konzentrierte mich auf sie. Es war gar nicht so einfach, die Gedanken der Leute in den Autos zwischen uns geistig auszublenden oder durch sie hindurchzupflügen.
Schließlich half mir, dass Arlenes Gedankenmuster mir so vertraut waren. Es klappte. Mein erster Eindruck war der von großer Freude. Arlene ging es prima, weil sie die ungeteilte Aufmerksamkeit einer ziemlich ahnungslosen Zuhörerin genoss, der sie von ihrem neuen Freund erzählen konnte und von seiner Überzeugung, dass man unbedingt alle Vampire und vielleicht auch gleich die Leute, die mit ihnen zu tun hatten, töten müsste. Arlene selbst vertrat eigentlich gar nicht so radikale Meinungen, aber sie ließ sich enorm beeinflussen von Leuten, für die sie etwas empfand.
Als von Tanya eine besonders starke Welle der Genervtheit ausging, klinkte ich mich in ihre Gedankengänge ein. Super, auch das klappte. Vorsichtshalber blieb ich die ganze Zeit in meiner halb vorgebeugten Haltung sitzen und nahm hin und wieder irgendeine CD zur Hand, während ich versuchte, so viel wie möglich aufzuschnappen.
Tanya stand noch immer auf der Gehaltsliste der Pelts, genauer gesagt von Sandra Pelt. Und allmählich bekam ich mit, dass Tanya nach Bon Temps geschickt worden war, um dafür zu sorgen, dass es mir so schlecht wie eben möglich erging.
Sandra Pelt war Debbie Pelts Schwester, die ich in meiner Küche erschossen hatte. (Nachdem sie versucht hatte, mich zu ermorden. Mehrmals. Das will ich nur noch mal betonen.)
Verdammt, das Thema Debbie Pelt hing mir zum Hals heraus. Schon lebend hatte die Frau mich wie ein Fluch verfolgt. Genauso bösartig und rachsüchtig wie ihre kleine Schwester Sandra. Ich hatte gelitten wegen ihres Todes, Schuld und Reue empfunden und mich gefühlt, als stünde mir ein großes »K« für Kain auf die Stirn geschrieben. Einen Vampir zu töten ist schlimm genug, doch seine Leiche verschwindet, und dann ist sie irgendwie ... ausgelöscht. Einen Menschen zu töten verändert einen für immer.
Genauso sollte es sein.
Aber es kann eben auch passieren, dass einem das alles irgendwann gründlich zum Hals heraushängt, oder, anders ausgedrückt, ein Klotz am Bein ist. Mir jedenfalls hing Debbie Pelt zum Hals heraus. Denn selbst nach ihrem Tod hatte dieser elendige Fluch mich weiterverfolgt, in Gestalt ihrer Eltern und ihrer Schwester. Von denen wurde ich sogar gekidnappt. Doch ich konnte den Spieß umdrehen und sie in meine Gewalt bringen. Damit ich sie laufen ließ, willigten sie ein, mich in Zukunft in Ruhe zu lassen. Sandra
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