Ein Vampir für alle Fälle
betonte allerdings, dass sie sich an dieses Versprechen nur bis zum Tod ihrer Eltern gebunden fühle. Und so musste ich mich nun also fragen, ob Mr und Mrs Pelt noch unter den Lebenden weilten.
Es reichte. Ich ließ den Motor an und fuhr eine Weile ziellos durch Bon Temps, wobei ich ständig jemandem zuwinkte, weil ich in fast jedem entgegenkommenden Wagen ein mir bekanntes Gesicht sah. Was sollte ich jetzt bloß tun? Keine Ahnung. Bei dem kleinen Stadtpark hielt ich an, stieg aus dem Auto und machte, die Hände in die Taschen gestopft, einen Spaziergang. In meinem Kopf herrschte das reinste Chaos.
Ich dachte an die Nacht, in der ich meinem ersten Liebhaber Bill erzählt hatte, dass ich als Kind von meinem Großonkel missbraucht worden war. Bill war meine Geschichte so zu Herzen gegangen, dass er meinem Großonkel umgehend einen Besucher ins Haus schickte. Und siehe da, mein Großonkel fiel die Treppe herunter und starb. Ich war furchtbar wütend geworden auf Bill, weil er sich einfach in meine Vergangenheit eingemischt hatte. Doch ich konnte nicht leugnen, dass ich nach dem Tod meines Großonkels eine tiefe Erleichterung empfunden hatte. Auch wenn ich mir wie die Komplizin bei einem Mord vorgekommen war.
Und dann war da noch Andre, den ich bei meiner Suche nach Überlebenden schwer verletzt in den Trümmern des Hotels Pyramide von Giseh fand, ein Vampir, der mich zugunsten seiner Königin unter strikter Kontrolle halten wollte. Andre hätte trotz seiner schrecklichen Wunden überlebt, wenn der verletzte Quinn sich nicht zu ihm geschleppt und ihn gepfählt hätte. Ich war einfach davongegangen, ohne Quinn von seinem Tun abzuhalten und Andre zu retten. An Andres Tod trug ich noch viel größere Schuld als an dem meines Großonkels.
Ich lief durch den leeren Park und kickte vereinzelte Blätter davon, die mir vor die Füße wehten. In mir schwelte eine grausige Versuchung. Nur ein Wort von mir zu einem der vielen Geschöpfe der Supra-Welt, und Tanya wäre tot. Oder ich könnte gleich die eigentliche Quelle des Übels in den Blick fassen und Sandra ausschalten lassen. Und wieder dieses Gefühl - ihr Abgang von dieser Welt wäre eine einzige Erleichterung.
Doch ich konnte es einfach nicht tun.
Aber ich konnte auch nicht länger mit dieser Tanya auf den Fersen leben. Sie hatte alles getan, um die sowieso schon wackelige Beziehung meines Bruders zu seiner Ehefrau zu ruinieren. So etwas machte man einfach nicht.
Und plötzlich wusste ich, wen ich um Rat fragen würde. Genau, das war die richtige Person. Und sie wohnte sogar bei mir, wie praktisch.
Als ich wieder nach Hause kam, waren Amelias Vater und sein zuvorkommender Chauffeur bereits abgefahren. Amelia stand in der Küche und wusch Geschirr ab.
»Amelia!«, rief ich, und sie schreckte zusammen. »Oh, 'tschuldigung. Ich hätte wohl etwas lautere Schritte machen sollen.«
»Ich hatte gehofft, das Verhältnis zwischen meinem Dad und mir würde sich verbessern«, sprudelte sie gleich los. »Aber ich glaube, das ist nicht der Fall. Er will nur, dass ich gelegentlich etwas für ihn tue.«
»Na ja, immerhin ist unser Kaminholz jetzt gehackt.«
Sie lachte ein wenig und trocknete sich die Hände ab. »Du siehst aus, als hättest du etwas auf dem Herzen.«
»Eins noch, ehe ich dir diese lange Geschichte erzähle. Ich tue deinem Vater den Gefallen, aber eigentlich mache ich den Anruf für dich«, sagte ich. »Ich meine, ich rufe natürlich für ihn im Fangtasia an, aber nur weil du meine Mitbewohnerin bist und du dich darüber freust. So, das wäre also geklärt. Und jetzt zu meiner langen Geschichte: Ich habe etwas Schreckliches getan.«
Amelia setzte sich an den Küchentisch und ich mich ihr gegenüber, genauso wie Marley und ich mittags. »Klingt interessant«, sagte sie. »Ich bin ganz Ohr. Leg los.«
Und dann erzählte ich Amelia alles: über Debbie Pelt, Alcide, Sandra Pelt, ihre Eltern und deren Versprechen, dass Sandra mich nie wieder belästigen würde, solange sie lebten. Was sie mir vorgeworfen hatten und wie ich mich dabei fühlte. Tanya Grissom, Spionin, Spitzel und Störenfried in der Ehe meines Bruders.
»Boah!«, rief Amelia, als ich fertig war, und dachte eine Weile nach. »Okay, zuerst checken wir mal Mr und Mrs Pelt.« Wir gingen an den Computer, den ich aus Hadleys Apartment in New Orleans mitgebracht hatte. Und schon nach fünf Minuten Surferei im Internet wussten wir, dass Gordon und Barbara Pelt tot waren, seit ihnen vor zwei Wochen beim
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