Ein Vampir fuer alle Sinne
Jeanne Louise leise, als ihre Tante Livy an die Hand nahm und mit ihr das Zimmer verließ. Dann widmete sie sich Pauls Hand, die bereits ein wenig angeschwollen war. Die Kleine hatte noch keine Ahnung davon, welche Kräfte sie nun besaß. »Wir holen besser etwas Eis, damit du deine Hand kühlen kannst.«
»Nein, nein, das geht schon«, wehrte er ab. »Sie will eine Freundin einladen, damit sie hier übernachtet.«
»Paul, wir sollten wirklich Eis für deine Hand holen.«
»Sie kann niemanden zum Übernachten einladen, Jeanie. Shelly ist eine Sterbliche. Wenn Livy mitten in der Nacht Hunger bekommt, wird sie das arme Kind aussaugen.«
Jeanne Louise stellte die Sorge um seine Hand für den Moment zurück. »Paul, das wird sie nicht machen. Bei Kirsten war sie nicht sie selbst gewesen. Jedenfalls wird sie nicht rumlaufen und willkürlich Leute anfallen. Wenn sie Hunger hat, bekommt sie einen Blutbeutel. Sie wird keine anderen Kinder beißen.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«, fragte er unsicher.
»Weil sie weiß, dass es verkehrt ist«, erklärte sie ruhig.
Seufzend nickte Paul und fuhr sich mit der unversehrten Hand durchs Haar. »Gut. Danke.«
»Aber in einem Punkt hast du recht«, räumte sie dann ein. »Sie kann hier keine Freundin übernachten lassen. Die könnte irgendwas sehen, was sie nicht sehen soll.«
»Ja, stimmt.« Er zuckte zusammen, als er eine Hand auf Jeanne Louises Schulter legen wollte und erst dabei merkte, dass es die Hand war, die Livy unabsichtlich in die Mangel genommen hatte.
»Komm«, sagte sie energisch. »Wir holen jetzt erst mal Eis für deine Hand.«
»Ist schon in Ordnung, mach dir keine Gedanken deswegen«, wehrte er ab, ließ aber zu, dass Jeanne Louise ihn hinter sich her aus dem Zimmer zog.
16
Paul drehte sich auf die andere Seite und tastete nach Jeanne Louise, die eigentlich neben ihm liegen sollte, doch da war sie nicht. Er schlug die Augen auf und stellte fest, dass das Bett leer war. Ein leeres, kaltes Bett. Verwundert setzte er sich auf und sah sich um. Jeanne Louise hielt sich auch nicht bei ihm im Zimmer auf. Er griff nach seiner Armbanduhr auf dem Nachttisch und verzog den Mund, da es erst zwei Uhr am Nachmittag war. Jeanne Louise sollte noch gar nicht auf sein. Gähnend stieg er aus dem Bett und ging ins Badezimmer, um zu duschen.
Zwanzig Minuten später war er frisch geduscht, frisiert und komplett angezogen. Er fühlte sich inzwischen etwas lebendiger als unmittelbar nach dem Aufwachen, als er zur Verbindungstür zu Livys Zimmer ging.
»Hm«, machte er, als er sah, dass seine Tochter ebenfalls nicht im Bett lag. Offenbar waren sie und Jeanne Louise beide Frühaufsteherinnen. Im Erdgeschoss angekommen warf er in jedes Zimmer einen Blick, da er auf der Suche nach der Küche war, weil er einen Kaffee brauchte. Dabei stieß er auf die Männer des Hauses, die alle im Wohnzimmer versammelt waren.
»Was gibt’s?«, fragte er, als er den Raum betrat.
»Der Fernseher funktioniert nicht, und in einer Viertelstunde beginnt das große Spiel«, antwortete Julius gereizt.
»Das große Spiel?« Interessiert trat er näher.
»Fußball«, erklärte Christian und drückte auf der Fernbedienung eine Taste nach der anderen, aber auf dem Bildschirm war nur Schnee zu sehen. »Italien spielt.«
»Hmm«, machte Paul abermals und sah zwischen Fernbedienung und Gerät hin und her. »Ich dachte, tagsüber schlaft ihr alle.«
»Italien spielt«, wiederholte Christian.
»Alles klar«, sagte Paul und nickte amüsiert. Fußball war offenbar wichtiger als Schlaf. »Weiß einer, wo Jeanne Louise und Livy sind?«
»Sie sind mit Marguerite und Caro einkaufen gefahren«, ließ Christian ihn wissen, während er aufgebracht die Fernbedienung schüttelte. »Elendes Ding.«
»Lass mich mal.« Paul nahm ihm die Fernbedienung aus der Hand, woraufhin die Männer ihm alle erwartungsvoll dabei zusahen, wie er das Menü aufrief. Nachdem er sich durch mehrere Menüpunkte gearbeitet hatte, gab er auf einmal ein »Aha« von sich.
»Was ist?«, fragte Julius nervös.
»Das Empfangssignal ist sehr schwach. Sieht für mich danach aus, als wäre die Schüssel nicht genau ausgerichtet«, erläuterte er. »Wir hatten letzte Nacht Sturm, bestimmt ist dadurch was verstellt worden.«
Christian stöhnte auf. »So schnell kriegen wir keinen Techniker bestellt. Bis der hier eintrifft, ist das Spiel längst vorbei.«
»Ihr benötigt keinen Techniker«, beschwichtigte Paul ihn und gab die
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