Ein Vampir fuer alle Sinne
als ich von ihrem Tumor erfuhr, noch bevor sie immer schwächer wurde. Du bist um mich besorgt und willst mich beschützen. Du musst zusehen, wie ich langsam sterbe, so wie ich Livy beim Sterben hätte zusehen müssen. Nur mit dem Unterschied, dass es hier Jahrzehnte dauert und nicht bloß Monate. Und du kannst nicht darauf hoffen, mich vielleicht doch noch irgendwie vor dem Tod zu bewahren.« Er atmete schwer seufzend durch. »Ich war so egoistisch, dass ich bereit war, dich das alles ertragen zu lassen. Ich wollte es, obwohl ich wusste, es würde dir jeden Tag wehtun, mich wieder ein bisschen altern zu sehen, bis ich schließlich sterbe. Und vermutlich wäre ich immer noch so egoistisch, das von dir zu erwarten … nur dass es mir jetzt das Gefühl gibt, schwach und hilflos zu sein.«
»Ich werde versuchen, dir nicht dieses Gefühl zu vermitteln«, erwiderte Jeanne Louise betreten, wurde aber nachdrücklicher, als er den Kopf schütteln wollte. »Doch, das werde ich. Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, wie du das empfindest. Ich werde dich Mann sein lassen, Paul. Ich will nicht behaupten, dass ich nicht weiterhin um dich besorgt sein werde, aber ich werde versuchen, mich zurückzuhalten, bevor ich etwas sage. Ich werde dich schwere Dinge tragen lassen, und ich werde dich nicht davon abhalten, Dinge zu tun, zu denen du mühelos in der Lage bist.«
»Aber die anderen werden das nicht«, betonte er. »Sie werden mich nach wie vor so behandeln, als wäre ich für alles zu schwach und zu zerbrechlich.«
»Dann gehen wir von hier weg«, schlug sie vor. »Wir wohnen in deinem Haus, denn Livy kann ich auch allein trainieren.«
»Werden sie uns gehen lassen?«, fragte Paul zweifelnd.
»Sie werden uns gehen lassen müssen«, erklärte sie entschieden.
Paul sah sie unschlüssig an, aber dann nickte er und zog sie an sich, um sie an seine Brust zu drücken. Jeanne Louise atmete leise seufzend durch. Aber die Sorge blieb. Allein der Gedanke daran, ihn zu verlieren, versetzte sie in Panik, und dabei wusste sie, dass sie ihn ganz sicher verlieren würde. Mit etwas Glück würde er vielleicht achtzig Jahre alt werden, sodass ihr noch vierzig Jahre mit ihm verblieben. Aber das war für ihre Art kaum mehr als ein Herzschlag. Sie war hundertzwei, bald hundertdrei, und sie galt immer noch als ein Baby. Sie konnte tausend oder zweitausend Jahre alt werden, vielleicht sogar dreitausend Jahre. Ihre Zeit mit Paul würde so kurz sein, als hätte sie nur einen Wimpernschlag gemacht, und dann würde sie den Rest ihres Leben allein verbringen und von ihren Erinnerungen zehren. Womöglich würde sie daran zerbrechen.
17
»Na, du scheinst dich ja richtig wohlzufühlen.«
Jeanne Louise machte die Augen auf und begann zu lächeln, als sie sah, dass Paul sich an den Rand seines großen Whirlpools gesetzt hatte und mit einer Hand eine Portion Schaum hochnahm. Vor drei Tagen hatten sie Marguerites Haus verlassen, niemand war auf die Idee gekommen, sie daran zu hindern. Alle schienen Verständnis für Pauls Problem zu haben, und bislang hatten sie auch noch nichts von Onkel Lucian gehört, auch wenn das sicher nur eine Frage der Zeit war.
Sie war davon ausgegangen, dass Bricker und Anders sie hierher begleiten würden, doch das hatten sie nicht. Stattdessen waren sie zum Hauptquartier der Vollstrecker gefahren, sodass sie, Paul und Livy sich allein auf den Heimweg machen konnten. Vermutlich hatten sie das ihrer Tante zu verdanken, da Marguerite mit Onkel Lucian umzugehen wusste.
Bislang lief alles bestens oder zumindest ganz gut. Jeanne Louise hatte es geschafft, ihre fast schon zwanghafte Sorge um Paul weitestgehend zu unterdrücken, so wie auch ihr Verlangen, ihm alle schweren Dinge abzunehmen und ihn möglichst wenig zu belasten. Zumindest war ihr das insofern gelungen, dass sie es nicht laut aussprach. Aber selbst das hatte sich als erheblich schwieriger als erwartet entpuppt.
»Ist Livy gut eingeschlafen?«, fragte sie.
»Hervorragend, ich habe sie ins Bett gelegt, und weg war sie.« Paul hielt seine Hand auf sie gerichtet und blies in den Schaum, der in Flocken zerfiel und durch die Luft wirbelte. Die trieben zum Teil gegen ihre Wange oder landeten auf dem Schaum, der ihre Brüste bedeckte, was Jeanne Louise mit einem leisen Lachen zur Kenntnis nahm.
»Das ist eine große Wanne«, merkte sie leise an.
»Groß genug für zwei«, stimmte Paul ihr grinsend zu.
»Richtig. Wie wär’s denn, wenn du mir Gesellschaft
Weitere Kostenlose Bücher