Ein Vampir fuer alle Sinne
enttäuscht zu sein. Dass er so wie sie Wissenschaftler war, empfand sie auch als sehr erfreulich. Aber … der Mann hatte sie entführt, und das war ganz eindeutig kein guter Einstand, wenn er um ihre Hand anhalten sollte.
Jeanne Louise widmete sich aber für den Augenblick dem Thema, das ganz klar den Vorrang hatte: das Motiv des Mannes für die Entführung, das ein Problem darstellen würde. Jeder Unsterbliche durfte in seinem Leben einmal einen Sterblichen wandeln, bei dem es sich üblicherweise um den wichtigsten Menschen handelte – den Lebensgefährten. Also Paul, aber nicht seine Tochter.
Natürlich konnte Jeanne Louise ihn wandeln, und er wandelte im Gegenzug seine Tochter. Damit hätte er dann sein Ziel erreicht. Aber was, wenn sich später herausstellen sollte, dass Paul gar nicht ihr Lebensgefährte sein wollte? Auch wenn sie ihn nicht lesen konnte und es sich bei ihm deshalb wahrscheinlich um ihren Lebensgefährten handelte, gab es keine Garantie dafür, dass er auch ihr Lebensgefährte sein wollte.
Im Augenblick würde er sich sicher mit allen Forderungen einverstanden erklären, nur um seine Tochter zu retten, überlegte Jeanne Louise. Und er würde ganz bestimmt auch die Ewigkeit mit ihr verbringen wollen. Aber so sollte er sich nicht an sie binden. Sie musste schon die Gewissheit haben, dass er tatsächlich ihr Lebensgefährte sein wollte und nicht bloß aus Verzweiflung einverstanden war, damit seine Tochter nicht sterben musste. Um das herauszufinden, mussten sie beide sich erst mal besser kennenlernen, schließlich wollte sie doch wissen, ob sie beide zusammenpassten. So etwas dauerte natürlich seine Zeit, und Jeanne Louise hatte den dumpfen Verdacht, dass ihr dieser Luxus nicht vergönnt sein würde. Paul brachte seine Tochter ins Bett, gab ihr das gesuchte Fotoalbum, dann würde er vielleicht noch etwas essen oder Livy Gesellschaft leisten, spätestens danach würde er wieder herkommen, ihr davon erzählen, dass seine Tochter todkrank war, und Jeanne Louise bitten, ihr das Leben zu retten.
Ihr blieb dann keine andere Wahl, als ihm ihre Hilfe zu verweigern. Doch wenn sie ihm dann keine Hoffnung in der Form machen konnte, dass sie ihn wandelte und er anschließend selbst seine Tochter wandelte, weil sie erst wissen wollte, was er für sie empfand … dann beraubte sie sich all ihrer Chancen, ihn als ihren Lebensgefährten zu bekommen. Er würde im besten Fall nicht glücklich sein über ihre Absage, aber es war auch nicht auszuschließen, dass er sie dafür hassen würde, weil sie so zumindest scheinbar seine Tochter zum Tode verurteilte. So oder so würde es genügen, dass er kein Interesse an ihr zeigte.
Seufzend kniff sie die Augen zu. Ihr Wunsch, von hier zu entkommen, hatte sich in Luft aufgelöst, dafür wurde sie jetzt von Angst und Hoffnung geplagt – Hoffnung, dass sie ihren Lebensgefährten gefunden hatte, Angst, dass sie keinen Weg finden würde, ihn für sich zu gewinnen.
»Ich habe Durst.«
»Ich bringe dir was zu trinken, wenn ich dich wieder ins Bett gelegt habe«, versicherte Paul ihr und wechselte Livy von einem Arm auf den anderen, damit er eine Hand frei hatte, mit der er die Kellertür zuziehen konnte.
»Ich will nicht wieder ins Bett, Daddy, da bin ich so allein«, beklagte sie sich. »Kann ich Jeanne Louise Fotos von Mommy zeigen?«
Paul antwortete nicht sofort, aber er brachte sie auch nicht gleich zurück in ihr Zimmer, sondern setzte sie in der Küche auf einen Stuhl, damit er etwas zu trinken für sie holen konnte. In der letzten Woche hatte Livy der Sinn nach gar nichts gestanden und deshalb hatte sie die meiste Zeit im Bett verbracht. Er war davon ausgegangen, dass das auch so bleiben würde, während er Jeanne Louise zu überreden versuchte, Livy zu wandeln, um ihr so das Leben zu retten. Aber jetzt wurde ihm klar, dass sie sich viel eher mit seinem Vorschlag würde anfreunden können, wenn sie mehr Zeit mit seiner Tochter verbrachte und sie so besser kennenlernte. Es gab niemanden, der sich ihrem Charme entziehen konnte, davon war er fest überzeugt. Sie war ein süßes Kind, klug und reizend und einfach nur wundervoll. Das musste wirklich jeder sehen.
Er fand, das war ein guter Plan, zumal ja Livy von sich aus Interesse an Jeanne Louise gezeigt hatte. Allerdings machte er sich auch Sorgen um Livy. In letzter Zeit erschien sie ihm immer schwächer und oft auch apathisch. Dass sie auf einmal unbedingt das Bett verlassen wollte, beunruhigte ihn ein wenig.
Weitere Kostenlose Bücher