Ein Vampir fuer alle Sinne
hatte Mrs Stuart eingestellt, damit sie nachts auf Livy aufpasste, während er – wie jeden Tag seit dem Tod seiner Frau – in der Nachtschicht arbeitete. So konnte er mit seiner Tochter frühstücken, wenn er nach Hause kam. Außerdem war er den Tag über für sie da, falls sie ihn brauchte. Wenn Livy dann in der Vorschule war, schlief er, um dann wieder auf zu sein, wenn sie am frühen Nachmittag nach Hause kam. Dieses Arrangement ermöglichte es ihm aber auch, sich um sie zu kümmern, wenn sie krank war und die Vorschule für sie ausfallen musste. Er war dann zwar hundemüde, aber auf jeden Fall für sie da.
Die Ärztin wusste von seinen Arbeitszeiten und hatte absichtlich zu der Zeit angerufen, wenn er gerade Feierabend hatte, damit er auf dem Heimweg noch einen Abstecher zur Praxis machen konnte. Was ihm Sorgen bereitete, war die Tatsache, dass sie ihn so früh am Morgen sprechen wollte. Zehn Minuten später saß er bei ihr im Sprechzimmer und fühlte sich wie gelähmt, als sie ihm erklärte, dass seine Tochter einen Hirntumor hatte. Lage und Größe des Tumors machten einen Eingriff zu einem tödlichen Wagnis. Eine Chemotherapie würde zwar den Tumor möglicherweise zum Schrumpfen bringen, aber auch die Wahrscheinlichkeit hierfür war sehr gering. Es war ein besonders aggressiver Tumor, der allein zwischen der ersten und der zweiten Tomografie auf das Doppelte angewachsen war.
Paul hörte der Ärztin zu, doch sein Verstand war weder in der Lage noch bereit, diese Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Der Frau war klar, dass er unter Schock stand, deshalb riet sie ihm, nach Hause zu fahren und in Ruhe darüber nachzudenken, welche Therpie er für seine Tochter wählen wollte. Wenn er sich für die Operation entschied, würde sie ihm sofort einen Termin verschaffen, und das galt auch für die Chemo. Dabei ließ sie allerdings keinen Zweifel daran, dass ihrer Meinung nach weder das eine noch das andere seiner Tochter helfen würde.
Er fuhr heim und stornierte den Flug und sämtliche Reservierungen für den geplanten Urlaub. Dann saß er den ganzen Tag allein im Haus und überlegte, was er tun sollte. Eine Operation? Vermutlich würde sie den Eingriff nicht überleben. Chemotherapie? Vermutlich wirkungslos, und Livy würde nur leiden. In jedem Fall sah es danach aus, dass sie ihren sechsten Geburtstag nicht mehr erleben würde. Die Frage war eigentlich nur, ob sie bis zum Ende unter schrecklichen Kopfschmerzen leiden musste oder ob sie auch noch die Strapazen einer Chemotherapie aushalten sollte oder ob das Ende sie während der Operation auf dem OP -Tisch ereilen würde. Keins von beidem war für Paul akzeptabel. Er hatte schon mitansehen müssen, wie seine Frau nach dem Verkehrsunfall langsam dahingesiecht war, während ein Organ nach dem anderen versagte. Das Gleiche konnte er mit Livy nicht ein zweites Mal durchmachen. Er weigerte sich einfach, sie zu verlieren.
Bei Argeneau Enterprises war er in der Arzneimittelforschung tätig. Seine Aufgabe war es, stärkere und wirkungsvollere Betäubungsmittel zu entwickeln, die die Arbeit der Vollstrecker erleichtern sollte, deren Aufgabe es war, Abtrünnige dingfest zu machen. Damit er genau das entwickeln konnte, was benötigt wurde, gehörte er zu dem Kreis derer, die Bescheid wussten über die Existenz dieser unglaublichen Geschöpfe – unsterblich gemacht durch biomanipulierte Nanos, die so programmiert waren, dass sie ihre Wirtskörper stets in bester Verfassung hielten. Die Nanos griffen jede Bedrohung an, von der Erkältung bis hin zu … Krebs. Sie reparierten Verletzungen und alle Schäden, die durch den Alterungsprozess hervorgerufen wurden. Dafür benötigten sie Blut, und das nicht nur für die Reparaturen und für ihre eigene Reproduktion, sondern auch zur Fortbewegung innerhalb des Körpers. Das alles erforderte mehr Blut, als der menschliche Körper produzieren konnte, also waren die Unsterblichen gezwungen, Blut von Sterblichen zu trinken, um selbst zu überleben.
Man hatte ihm davon erzählt, dass die Nanos vor Jahrtausenden in Atlantis entwickelt worden waren und dass man den Trägern von Nanos Bluttransfusionen gegeben hatte. Aber dann ging Atlantis unter, und die Wirte als die einzigen Überlebenden der Katastrophe hatten die Gebirgskette rund um ihr Reich überwunden und sich dem Rest der Welt angeschlossen, die aber nicht annähernd so weit entwickelt war wie Atlantis. Bluttransfusionen und Nanos waren für diese anderen Menschen so
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