Ein Vampir fuer alle Sinne
sich dann sogar noch hingelegt.
»So kannst du unmöglich bleiben«, sagte Paul. »Wir müssen irgendwo anhalten und dir etwas zum Wechseln besorgen. Vielleicht sollten wir ein Hotelzimmer mieten, damit du dich wenigstens duschen kannst.«
»Es reicht, wenn ich mich umziehe«, erwiderte Jeanne Louise. »Über ein Motel sollten wir erst nachdenken, wenn wir Toronto weit genug hinter uns gelassen haben. Ich glaube, wir sollten auch nicht anhalten, um etwas zum Anziehen zu kaufen. Eine Stunde oder so halte ich das schon noch aus.«
»Eine Stunde nach Norden oder nach Süden?«, wollte er wissen.
»Hast du im Süden auch irgendwo ein Grundstück?«, erkundigte sie sich. Als er den Kopf schüttelte, sagte sie: »Dann nach Süden.«
»Eine Stunde in südwestlicher Richtung auf dem Highway 427 bringt uns in die Region Kitchener/Waterloo/Cambridge«, verkündete er.
»Das dürfte genügen«, überlegte Jeanne Louise. Sie wusste, in der Gegend lebten ein paar Unsterbliche, aber denen begegnete man inzwischen fast überall. Sie mussten einfach nur vorsichtig vorgehen.
Paul nickte, und in den nächsten Minuten schwiegen sie beide, da er darauf konzentriert war, die richtige Strecke auf den Highway 427 zu finden. Schließlich sagte er: »Danke, dass du Livy hilfst.«
Ihr entging nicht seine dankbare Miene, aber sie reagierte nur mit einem Schulterzucken. »Sie muss was essen.«
»Ja, und ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du das alles für sie tust«, fuhr er fort. »Ich weiß, du willst, dass sie diese Schmerzen nicht aushalten muss.«
Jeanne Louise erwiderte nichts, sondern sah Boomer an, der es endlich aufgegeben hatte, ihr Gesicht ablecken zu wollen, und sich auf ihrem Schoß zusammengerollt hatte.
»Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um zu begreifen, was los ist. Mir ist bei Chuck E. Cheese’s aufgefallen, wie blass und versteinert dein Gesicht war, aber da dachte ich noch, du brauchst vielleicht mehr Blut. Dann fiel mir ein, dass du genauso ausgesehen hattest, als im Garten Livys Kopfschmerzen ganz plötzlich aufhörten.« Er hielt einen Moment lang inne, dann fragte er zögerlich: »Damit sie die Schmerzen nicht spürt … musst du sie ertragen?«
Seufzend zuckte sie mit den Schultern. »Ich muss in ihrem Kopf sein, um etwas dagegen auszurichten, und da sind auch die Schmerzen. Ich kann sie nur dann abschirmen, wenn ich mich in ihrem Verstand befinde.«
»Du hast gesagt, das ist etwas Instinktives, etwas, das du auch machst, wenn du Leute beißt? Heißt das, du spürst dann selbst, wie du sie beißt?«
»Der Schmerz entsteht nicht in ihrem Kopf, sondern üblicherweise am Hals … auch wenn sich die Schmerzrezeptoren im Kopf befinden«, fügte sie hinzu und zog nachdenklich die Brauen zusammen. »Ich weiß nicht, wie das funktioniert, Paul. Wie gesagt, es hat mehr mit Instinkt als mit sonst was zu tun.«
»
Üblicherweise
am Hals?«, fragte er. »Kannst du Leute denn auch an anderen Stellen beißen?«
»Klar. Überall da, wo die Adern am deutlichsten hervortreten und dicht unter der Haut verlaufen. Die Armbeuge, das Handgelenk, die Genitalien, die Knöchel …« Sie machte eine beiläufige Geste. »Es gibt zig Stellen, wo man eine Person beißen kann.«
»Die Genitalien?«, wiederholte er völlig perplex.
Jeanne Louise verzog den Mund, da sie spürte, dass sie einen roten Kopf bekam. »Manche schwören darauf, dass das die beste Stelle zum Zubeißen ist. Dass jemand die Bisswunden sieht, ist so gut wie ausgeschlossen.«
»Ja, richtig«, stimmte er ihr zu, dann verfiel er in Schweigen. Vermutlich dachte er gerade darüber nach, wie sie jemanden in die Genitalien biss. Männer neigten dazu, mit Vorliebe über dieses eine Thema nachzudenken. Zumindest galt das für die Männer, die sie bislang gelesen hatte.
»Möchtest du eine Aspirin?«, fragte Paul plötzlich. »Ich glaube, im Handschuhfach liegt eine Packung. Falls es etwas Stärkeres sein soll, ist da immer noch die Tasche mit Livys Medikamenten. Da sind auch einige verdammt gute Schmerzmittel darunter.« Etwas betreten fügte er hinzu: »Allerdings bewirken die bei ihr nicht mehr viel.«
»Nein, das geht auch so«, versicherte Jeanne Louise ihm, auch wenn das so nicht stimmte. Ihr Kopf schmerzte immer noch, doch Arzneimittel für Sterbliche konnten ihr kaum helfen. Die Nanos würden sie nur als Fremdkörper ansehen und aus dem Körper ausstoßen, und das bedeutete, dass sie noch mehr Blut verbrauchen würden, was wiederum zu
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