Ein Vampir fuer alle Sinne
hat das Nachbarskind zwar nicht gebissen, aber ich habe die Erinnerungen des Mädchens trotzdem gelöscht und mich vergewissert, dass niemand sonst diese Attacke mitbekommen hat.«
»Gut«, erwiderte Lucian. »Du und Bricker, ihr beide begleitet Jeanne Louise, Paul und Livy zu Marguerite, sobald das Mädchen wieder auf den Beinen ist. Ruf mich an, wenn das der Fall ist, dann schicke ich ein Flugzeug her, das euch abholt.«
Anders nickte, aber da hatte sich Lucian längst den anderen im Zimmer zugewandt. »Armand, ich nehme an, du bleibst hier, bis sie abreisen?«
»Ja«, kam seine Antwort, während er Jeanne Louises Schulter leicht drückte.
Lucian schien das nicht weiter zu überraschen, da er sich bereits den beiden anderen Paaren widmete. »Könnt ihr die SUV s wegbringen, mit denen Bricker und Anders hergekommen sind?«
Zustimmendes Gemurmel schlug ihm entgegen. Anders und Bricker waren allein unterwegs gewesen, während Nicholas und Jo sowie Etienne und Rachel jeweils gemeinsam in einem Wagen hergekommen waren. Jetzt würden sie sich auf alle vier Fahrzeuge verteilen, um sie von hier wegzubringen.
Lucian dankte keinem von ihnen, er gab auch keinen zustimmenden Laut von sich, sondern fasste Leigh am Arm und führte sie aus dem Haus, ohne sich von irgendwem zu verabschieden. Niemand wunderte sich über sein Verhalten, aber alle seufzten erleichtert, als er die Tür hinter sich und Leigh zugezogen und das Cottage verlassen hatte. Es war ihnen anzumerken, wie angespannt sie alle gewesen waren, so, als hätte jeder von ihnen die ganze Zeit über die Luft angehalten und wagte es erst jetzt wieder durchzuatmen.
Jeanne Louise dagegen war sich nicht so sicher, ob sie je wieder erleichtert würde durchatmen können. Sie wusste, sie sollte sich darüber freuen, dass Paul nicht bestraft wurde, doch ihre Sorgen und Ängste lasteten zentnerschwer auf ihr, wenn sie über ihre Zukunft nachdachte. Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. »Ich muss es Paul sagen, dass …«
»Wie wäre es, wenn du dich ausruhst und mich das für dich erledigen lässt?«, schlug ihr Vater vor. »Während wir alle irgendwann mal eine Pause eingelegt haben, hast du letzte Nacht kein Auge zugetan.«
Sie hatte nicht von Livys Seite weichen wollen, denn für den Fall, dass die Kleine von Schmerzen geplagt und völlig durcheinander aufgewacht wäre, hätte sie wenigstens ein vertrautes Gesicht gesehen, und nicht ein Zimmer voller fremder Leute. Aber Livy war dann erst aufgewacht, als sie alle gegangen waren, und nun fühlte sich Jeanne Louise völlig erschöpft. Das war aber nicht der Grund dafür, dass sie sich versucht fühlte, auf das Angebot ihres Vaters einzugehen. Sie sah sich vielmehr einfach nicht in der Lage, Paul unter die Augen zu treten, ohne sofort in Tränen auszubrechen. Noch vor ein paar Stunden war sie so glücklich gewesen wie noch nie in ihrem Leben. Sie hatte ihre Zukunft fest vor Augen gehabt, und jetzt lag diese in Scherben vor ihr, sodass sie nur noch schlafen wollte.
Allerdings war ihr Vater ziemlich wütend auf Paul, und sie konnte nicht darauf vertrauen, dass er diese Gelegenheit nicht nutzen würde, um ihm die Meinung zu sagen.
»Ich werde freundlich zu ihm sein«, ließ Armand Argeneau sie wissen und machte damit deutlich, dass er ihre Gedanken gelesen hatte. »Versprochen«, setzte er dann noch hinzu.
Jeanne Louise zögerte. Wäre sie doch bloß nicht so verdammt müde gewesen. Sie brauchte Schlaf … und Ruhe, um Ordnung in ihrem Kopf zu schaffen … und sie wollte ihren Tränen freien Lauf lassen, aber nicht alles unbedingt in dieser Reihenfolge. Seufzend nickte sie, drehte sich um und ging zielstrebig in Richtung Schlafzimmer, wo das Bett bereits auf sie wartete.
Paul saß im Sessel neben dem Bett und vermied es, Justin Bricker anzusehen, der auf der anderen Seite des Betts Platz genommen hatte. Seit sie hergekommen waren, hatte keiner von ihnen ein Wort gesprochen. Bricker schien irgendwelchen Gedanken nachzuhängen, und Paul war so aufgebracht, dass er nicht reden wollte. Die Szene mit Livy draußen vor dem Haus ging ihm wieder und wieder durch den Kopf, wie ein grausiger Albtraum. Er fragte sich, was er seiner Tochter bloß angetan hatte.
Dass er das getan hatte, stand für ihn fest, auch wenn Jeanne Louise noch so oft das Gegenteil behauptete. Er hatte sie gekidnappt, damit sie genau das machte – damit sie Livy das Leben rettete. Aber diese blutverschmierte, wahnsinnige Kreatur, die Kirsten gejagt und dann
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