Ein Vampir fuer alle Sinne
entfallen. Es zeigte, dass ihr Onkel sie sehr gründlich gelesen hatte. Aber vielleicht war er auch in Pauls Kopf auf diesen Vorfall gestoßen.
»Da Marguerite das alles überhaupt erst ins Rollen gebracht hat«, sprach er weiter, »darf sie sich auch bei den Konsequenzen nützlich machen und zumindest Lilys Ausbildung zur Unsterblichen in Angriff nehmen.«
Jeanne Louise verkniff sich einen Kommentar und nickte nur zustimmend. Sie mochte ihre Tante, und Paul konnte sie auch gut leiden. Sie war davon überzeugt, dass Livy sich mit ihr bestens verstehen würde, aber … »Wie lange werden wir bei Tante Marguerite bleiben?«
»Bis ich entschieden habe, was ich mit Livy machen soll.«
»Was du mit ihr machen sollst?«, wiederholte sie erschrocken.
»Na, sie kann ja wohl kaum in ihr normales Leben zurückkehren, nicht wahr?«, konterte er. »Sie kann nicht mehr ihre alte Schule besuchen, sie kann nicht den ganzen Tag mit den Nachbarskindern im Garten spielen, sie kann einfach nicht mehr so leben, wie sie es bislang gewohnt war. Trotzdem muss sie eine Ausbildung bekommen.«
»Ja«, stimmte Jeanne Louise ihm nachdenklich zu. An dieses Problem hatte sie noch gar nicht gedacht.
»Meine Entscheidung hängt auch davon ab, ob ihr beide ein Paar bleibt oder nicht.« Er warf ihr einen kritischen Blick zu. »Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das der Fall sein wird.«
»Aber er ist mein Lebensgefährte!«, protestierte sie schwach.
»Und er ist sterblich«, betonte Lucian. »Wir sind Sterblichen in vieler Hinsicht ähnlich, aber es gibt auch Unterschiede, Jeanne Louise, und mit jeder Minute, die du mit ihm verbringst, werden diese Unterschiede deutlicher zutage treten. Er ist dir körperlich unterlegen, er ist empfindlicher. Er wird krank werden oder sich verletzen, und selbst wenn er Glück hat und weder das eine noch das andere eintritt, wird er älter werden und irgendwann dahinsiechen. Ich bin mir nicht sicher, ob du es ertragen kannst, ihm dabei zuzusehen. Es wird dich innerlich sehr wahrscheinlich zerreißen. Und wenn er verletzt wird und zu sterben droht, dann kann ich nicht ausschließen, dass du in dem Moment all deine guten Vorsätze vergisst und ihn genauso mit einer Wandlung retten wirst, wie du es bei Livy gemacht hast.« Nach einer kurzen Pause fügte er missmutig hinzu: »Wenn du das machst, dann verwirkst du damit dein eigenes Leben. Solange ich nicht die Gewissheit habe, dass es dazu nicht kommen wird, will ich jemanden in eurer Nähe haben, damit er dich vor deinen eigenen Gefühlen beschützt.«
»Ich …«, begann sie und verstummte gleich wieder, da sie nicht wusste, ob sie wirklich in der Lage sein würde, Paul sterben zu lassen.
»Wenn ihr getrennte Wege gehen solltet, führt das natürlich zu ganz anderen Problemen«, setzte Lucian fort. »Für einen Sterblichen ist es schwierig, ein unsterbliches Kind großzuziehen. Kinder eignen sich Fähigkeiten wie das Lesen und Kontrollieren von Sterblichen viel schneller an als erwachsene Gewandelte, und diese Fähigkeiten entwickeln sich viel schneller als ihr Gewissen und ihr Verständnis dafür. Wenn Paul seine Tochter großziehen will, dann ist das das Gleiche, als wollte ein Affe ein Menschenkind aufziehen. Das erste Jahr wird noch nicht vorbei sein, da wird sie tun und lassen, was sie will, und sie wird ihn nach Herzenslust kontrollieren, wenn kein Unsterblicher in der Nähe ist, der sie davon abhalten kann. Auch das werde ich nicht zulassen. Ich habe keine Lust, ein abtrünniges Kind jagen zu müssen, das von meiner Nichte gewandelt wurde.«
Als sie Livy gewandelt hatte, da war ihr nichts von alldem durch den Kopf gegangen. Sie hatte nur daran gedacht, Paul zuliebe das reizende blonde Mädchen zu retten, das sie so sehr liebte.
»Also«, folgerte Lucian ruhig. »Ihr drei werdet gemeinsam bei Marguerite bleiben, bis ihr von mir etwas hört. Oder bis ihr euch trennt und ich für Paul und Livy etwas anderes arrangieren muss. Ist das klar?«
Jeanne Louise nickte ruckartig. Ihre Gedanken überschlugen sich noch immer angesichts all der Probleme, auf die er sie hingewiesen hatte und die ihr gar nicht in den Sinn gekommen waren. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, sich jetzt damit auseinandersetzen zu müssen.
»Gut. Dann haben wir uns also verstanden«, sagte Lucian und sah zu Anders, der in diesem Moment das Cottage betrat. Lucian schob Leigh zur Seite, damit der Mann hereinkommen konnte. »Nebenan alles in Ordnung?«
»Ja«, antwortete Anders. »Livy
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