Ein Vampir für jede Jahreszeit
magische Anziehungskraft auf Jonathan aus.
»Hoppla, jetzt ist es mir schon wieder passiert.«
Diesmal wusste Jonathan sofort, was geschehen war, denn er hatte das Knirschen seiner Zehen gespürt. Hatte sie ihn da gerade etwa mit voller Absicht getreten und am Ende auch noch den Fuß gedreht, um ihm möglichst großen Schmerz zuzufügen? Es war offensichtlich, dass die zarte, kleine Göre, mit der er tanzte, über den Mangel an Aufmerksamkeit verärgert war.
Eigentlich hätte er wütend werden müssen, doch Jonathan konnte es ehrlich gesagt nachvollziehen, dass sie seine Unaufmerksamkeit als rüpelhaft empfand. Er hatte den, wenn auch etwas armseligen, Angriff seiner Tanzpartnerin durchaus verdient. Im Grunde war er zu beinahe jeder einzelnen, jungen Dame, mit der er getanzt hatte, so unhöflich gewesen, denn die ganze Zeit über hatten seine Blicke und seine Aufmerksamkeit Alice und ihren Freiern gegolten. Das schamlose Frauenzimmer hatte kaum einen Tanz ausgelassen. Unablässig flog sie am Arm irgendeines kleinen Lords übers Parkett. Warum, zum Teufel, hatte er seiner Mutter gestattet, so verflucht viele Männer einzuladen? Und warum waren sie alle nur so verflixt attraktiv?
Der dritte Tritt auf seinen Fuß machte für Jonathan das Maß voll, da er besonders schmerzhaft war. Humpelnd eskortierte er das kleine Gör von der Tanzfläche und lieferte es bei seiner Mama ab, wo es sich über sein Verhalten beschweren konnte. Dann hielt er nach seiner eigenen Mutter Ausschau, mit der Absicht, ebenfalls eine Beschwerde vorzubringen.
»Ah, da ist ja mein stattlicher Sohn.«
Jonathan zog im Geiste eine Grimasse und nickte der Schar aus Edelfrauen, die sich um Lady Fairley versammelt hatten, höflich zu. Langsam kam er sich vor wie ein Zuchthengst, der zum Decken angepriesen wurde.
»Bitte sehr, meine Liebe.«
Als der allgegenwärtige Lord Houghton mit einem Getränk für seine Mutter erschien, verzog Jonathan offen das Gesicht. Allerdings tat er das mehr aus Gewohnheit, denn einen wirklichen Grund gab es dafür eigentlich nicht. Inzwischen war ihm klar geworden, dass der Mann einfach nur ein Plagegeist war und seine Mutter klug genug, um sich nicht auf diesen Gecken einzulassen. Wenn sie sich natürlich unversehens dazu entschließen sollte, den Mistkerl zu heiraten, dann musste Jonathan ihn wohl umbringen. Aber darüber konnte er sich Gedanken machen, wenn es so weit war. Im Moment hatte er eher mit Alices Eskapaden zu kämpfen.
»Sag selbst, Jonathan, findest du nicht auch, dass das Fest eine großartige Idee und ein voller Erfolg war?«
Er nickte gedankenverloren, ohne die Frage seiner Mutter oder die allgemeine Zustimmung der Damen, die ihn umringten, zu hören. Gerade verfolgte er unglücklich, wie Alice schon wieder mit einem Mann tanzte. Sie war eine anmutige Tänzerin und ihr Körper bewegte sich in perfektem Einklang mit der Musik. Sie stellte alle anderen auf der Tanzfläche in den Schatten.
»Findest du das nicht auch, Jonathan?«, fragte seine Mutter noch einmal.
»Hmm?« Ein Dutzend erwartungsvolle Augenpaare hatten sich auf ihn gerichtet. Er nickte abwesend und bemerkte dann: »Lady Alice scheint sehr begehrt zu sein, nicht wahr? Sie hat schon mit fast allen anwesenden Männern getanzt.«
Seine Mutter hob ungeduldig die Hand. »Also wirklich, Jonathan. Was interessiert es dich, mit wem Lady Houghton tanzt? Sie muss ja nicht heiraten. Du schon. Warum führst du nicht Lady Jovell als nächste zur Tanzfläche? Mit ihr hast du bisher noch nicht getanzt.«
Jonathan passte dieser Vorschlag ganz und gar nicht in den Kram, doch es wäre unhöflich gewesen, die junge Frau durch eine Weigerung zu beleidigen. Er ergriff den Arm des pickligen Mädchens, das aus der Gruppe vortrat, und führte sie auf die Tanzfläche. Glücklicherweise war die Kleine schweigsam und wollte sich während des Tanzes nicht unterhalten. Auch schien es sie nicht zu stören, dass er Lady Alice und die Schar von Schönlingen, die darum wetteiferten, mit ihr tanzen zu dürfen, nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Womöglich lag das aber auch daran, dass sie den Kopf gesenkt hielt und unablässig ihre Füße anstarrte.
Wenigstens trampelte sie ihm nicht zur Strafe für seine Unachtsamkeit auf den Zehen herum. Das sprach schon einmal für sie, dachte er, als die Musik endlich endete.
Da er befürchten musste, dass seine Mutter ihm sofort eine weitere junge Dame aufnötigen würde, brachte er Lady Jovell ohne großes Aufhebens
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