Ein Vampir für jede Jahreszeit
was man ihm vorgesetzt hatte, bereits verspeist hatte.
»Ich bin heute Morgen ungewöhnlich heißhungrig«, rechtfertigte er sich dürftig, doch sie nickte und setzte sich wieder. Jonathan atmete erleichtert auf, winkte einen der Diener heran und bat um mehr Essen und Trinken. Dann lächelte er Alice an. Ihre Mutter musterte die beiden mit einem Seitenblick. Jonathan beugte sich vor und sprach sie an: »Wie ist das werte Befinden heute Morgen, Mylady?«
»Oh.« Lady Elizabeth von Houghton errötete. »Gut. Danke, Mylord. Wie steht es um Euch? Seid Ihr bereit für die Herausforderungen des heutigen Tages?«
»Herausforderungen?«, fragte er vorsichtig nach.
»Ja, die Vorbereitungen für Euer nächstes Fest.«
»Wie bitte?« Jonathan verhehlte sein Entsetzen nicht. Noch ein Fest? Nur über seine Leiche! Niemals würde er sich den Qualen, die er am gestrigen Abend erlitten hatte, noch einmal aussetzen. Er hatte seiner Mutter gestern nur nicht sofort widersprochen, weil er davon ausgegangen war, dass der König sich niemals auf ihre Pläne einlassen würde. Doch offenbar hatte seine Mutter mehr Einfluss auf Edward, als er vermutet hatte.
»Oh je«, hörte Jonathan Alice flüstern und sah sie fragend an, worauf sie ihm erklärte: »Daran habe ich überhaupt nicht mehr gedacht. Ich habe Eurer Mutter heute Morgen versprochen, ihr bei den Vorbereitungen für die Festlichkeiten zu helfen.«
»Das ist nicht nötig«, entgegnete er. »Ich glaube wirklich nicht, dass wir noch eine weitere derartige Festivität veranstalten müssen. Die Letzte war zwar nicht völlig nutzlos, jedoch eine Tortur für mich, der ich mich ungern noch einmal aussetzen würde.«
»Ach, aber deshalb habe ich mich ja bereit erklärt, Euch zu helfen. Ich wollte sichergehen, dass sich das Debakel von gestern Abend nicht noch einmal wiederholt«, erklärte sie ihm. »Dieses Mal werden wirklich nur geeignete Damen geladen und, um die Balance zu wahren, wird die Hälfte der Gäste männlich sein. Auf diese Art könnt Ihr Euch einer Dame nach der anderen widmen, und die übrigen Herren unterhalten derweil den Rest.« Sie strahlte ihn an. »So wird es sicher besser gelingen.«
Jonathan verzog das Gesicht. Ihre Ausführungen beruhigten ihn ganz und gar nicht, aber offenbar blieb ihm in dieser Angelegenheit kaum eine andere Wahl. Und was ihn noch mehr ärgerte, war die Tatsache, dass Alice seiner Mutter nun offenbar mit Feuereifer bei der Suche nach einer Braut für ihn zur Seite stand.
Warum störte ihn das nur so sehr?
4
»Oh, entschuldigt bitte, Mylord. Ich bin so ungeschickt.«
»Wie bitte? Ach so.« Jonathan riss sich von Alices Anblick los und lächelte der jungen Frau, mit der er gerade tanzte, gezwungen zu. Seinen pochenden Zehen nach zu urteilen, entschuldigte sie sich dafür, dass sie ihm auf den Fuß getreten war. Es war das erste Mal an diesem Abend, doch er hatte es kaum bemerkt, denn Lady Houghtons Tochter nahm seine ganze Aufmerksamkeit ein – und der Mann, der sie gerade über die Tanzfläche führte.
Er verfluchte in Gedanken seine Mutter und ihre verflixten Pläne, murmelte seiner fehlgetretenen Tanzpartnerin eine Höflichkeit zu und konzentrierte sich dann wieder auf Alice. Dies war nun das zweite Brautfest. Jonathan, seine Mutter, Alice und deren Mutter hatten sich dafür mehrere Tage ins Zeug gelegt. Auch Lord Houghton war bei den Vorbereitungen zugegen gewesen, mehr aber auch nicht. Der alte Faulenzer war wohl der Ansicht, körperliche Arbeit sei unter seiner Würde.
Jonathan seufzte im Stillen. Es gab ungefähr eintausend andere Dinge, die er in den letzten Tagen lieber getan hätte. Es war für einen Krieger wie ihn absolut lächerlich, sich über das Essen und die Getränke zu zanken, die bei diesen verfluchten Festen, die seine Mutter ständig ausheckte, serviert werden sollten. Allerdings hätte er bei seinen alternativen Unternehmungen auf Alices Gegenwart verzichten müssen. Sie hatte nun einmal versprochen, seine Mutter zu unterstützen, was bedeutete, dass er, wenn er Zeit mit ihr verbringen wollte, ebenfalls mithelfen musste. Und Jonathan sehnte sich nach Alices Gesellschaft.
Dank ihr waren die vergangenen beiden Tage sogar vergnüglich gewesen. Beim Ausführen der Anweisungen seiner Mutter hatten sie viel geredet und zusammen gelacht und sich bei der gemeinsamen Arbeit aneinander erfreut. Wie er vermutet hatte, war Alice eine kluge Frau, und ihre geistreiche Ausdrucksweise und ihr frecher Sinn für Humor übten
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