Ein Vampir ist nicht genug - Roman
unbehaglich zumute, aber die Zeit, wo ich mein Ego schützen musste, war wohl lange vorbei. »Ich wollte immer schon fliegen können«, gestand ich. »So wie Superman, nur ohne das lächerliche Kostüm.«
»Das ist nicht …«
»Oder wie wäre es mit übermenschlichen Kräften, damit ich Leute quer durchs Zimmer schleudern kann?«
»Das ist eine ernste Angelegenheit!« Vayls schwarze Augen bohrten sich in meine, zwei Obsidiankiesel, die bereit waren, mich unter einer dicken, fetten Lawine zu begraben. Das brachte mich auf die Palme. Hier saß ich und bot diesem Kerl das reine Leben an, sozusagen, und alles, was er konnte, war, mich mit metaphorischen Felsen zu bedrohen! »Du hast ja keine Ahnung, Jasmine. Wir würden uns auf einer sehr elementaren Ebene verbinden. Ich kann nicht vorhersehen, was dabei herauskommt. Und du kannst das Risiko nicht einschätzen!«
Kurz überlegte ich, ihn zu schütteln, bis seine Zähne klapperten, besann mich dann aber eines Besseren. »Vayl! Beruhige dich! Gott, bist du quengelig, wenn du hungrig bist!«
Das drang zu ihm durch. Er presste sich die Handfläche gegen die Nasenwurzel.
»Du bist geisteskrank, weißt du das?«
Autsch. »Ich bin nur pragmatisch. Ich wusste, dass ich dir eines Tages meine Kehle würde überlassen müssen. Pete und ich haben diese Möglichkeit durchgesprochen. Und was die Gefahr und das Risiko angeht, genau dafür bezahlt mich Pete. Und wie wir beide wissen, will er was sehen für sein Geld.«
»Jasmine, ich kann nicht …«
»Warum denn nicht?«
»Weil du keine Nahrung für mich bist!«
Eine Minute lang starrte ich ihn nur an; dann begann ich zu grinsen. Ich konnte einfach nicht anders. »Vayl.« Ich versuchte, nicht zu lachen. »Ich bitte dich ja nicht, mich zu essen.«
Vayl fiel die Kinnlade runter, und ich brach in schallendes Gelächter aus. Schließlich hörte ich, wie er kichernd mit einstimmte, und wusste, dass alles zwischen uns in Ordnung kommen würde. Als ich meinen verdrehten Sinn für Humor wieder unter Kontrolle gebracht hatte, sagte ich: »Es ist nur eine Übergangslösung, bis wir uns etwas Besseres überlegt haben. Okay?«
Als er seufzte und seine Schultern nicht mehr in Abwehrhaltung waren, wusste ich, dass ich gewonnen hatte. Vayl zögerte noch kurz. »Ich werde nicht viel nehmen«, versicherte er mir. »Nur das, was ich brauche, nicht mehr.«
Nicht mehr, nicht mehr, nicht mehr.
Als ich spürte, wie seine Kraft sich um mich legte, warm und beruhigend wie eine alte Decke, seufzte ich leise. Seine Finger strichen über meinen Hals, als er meine Haare zur Seite schob. Seine Lippen streiften mein Ohrläppchen und wanderten dann zu meiner Kehle. Sanft glitten sie über meine Haut, und er liebkoste mich mit den Spitzen seiner Fangzähne, bis etwas Neues zwischen uns entstand, eine Kraft, die zischte und biss und die Luft zum Brodeln brachte. Ich hörte, dass mein Atem stoßweise kam.
»Vayl … bitte.«
»Ja«, erwiderte er, seine Stimme rau vor Verlangen. Nach mir? Nach meinem Blut? Ich war mir nicht sicher, ob zu diesem Zeitpunkt ein Unterschied zwischen beidem bestand. Ich wollte mich tiefer in diese neue Einsicht stürzen, aber mein Frontallappen wählte ausgerechnet
diesen Moment, um das System auszuschalten. Nicht einmal der Schmerz, als seine Zähne meine Haut durchstie ßen, konnte mich aufwecken.
Die Luft glitzerte vor Kraft. Vor Magie. Mein Schädel brummte davon. Durch halb geschlossene Lider beobach tete ich, wie bunte Lichtblasen über die Wände tanzten. Danach überfiel mich die Dunkelheit so schnell, dass ich nicht einmal wusste, dass sie mich gepackt hatte, bis ich wieder zu mir kam und mir klar wurde, dass ich auf einem der Sofas lag, ein Bein über der Armlehne. Vayl saß auf der anderen Couch und starrte mich an, als sei mir ein zweiter Kopf gewachsen, während ich mich mühsam aufrichtete. Ein ziehendes Gefühl an meinem Hals ließ mich hinfassen, doch als ich eine Mullbinde ertastete, ließ ich die Hand wieder in den Schoß sinken.
»Was denn?«, fragte ich, und versuchte die Tränen zu unterdrücken. Ich wusste nicht, was mich mehr aufregte: die Tatsache, dass ich das Bewusstsein verloren hatte, oder dass ich den Großteil einer Erfahrung verpasst hatte, die unvergesslich gewesen wäre. »Habe ich etwas falsch gemacht?«, fragte ich. »Habe ich irgendetwas Unpassendes gesagt ?« Was zur Hölle ist gerade passiert?
Vayl schüttelte den Kopf. »Du warst perfekt. Besser als die Besten. Ich habe noch nie
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