Ein Vampir ist nicht genug - Roman
mich das zu einem schlechten Menschen macht …« Sie zuckte mit den Schultern. »Dann ist das dein Problem.«
Jen: »Das tue ich nicht. Aber ich denke schon, dass es dich einzigartig macht. Wie bist du zu diesem Job gekommen?«
Jaz: »Nach dem großen Streit mit meinem Dad, das erzähle ich dir später, kam eine Laufbahn beim Militär für mich nicht mehr infrage. Aber ich wollte immer noch meinem Land dienen.« Sie unterbrach sich. »Was, kein schlauer Spruch?«
Jen: »Nein.«
Jaz: »Tut mir leid. Sogar jetzt gehe ich noch in die Defensive. Man kann einen Mann lieben, oder ein Kind oder ein dämliches Stück Kuchen, und niemand hat ein Problem damit. Aber liebe dein Land, und schon wirst du von manchen ausgebuht.«
Jen: »Erzähl weiter.«
Jaz: »Wie dem auch sei, die CIA hat mich direkt nach dem College angeworben. Nach der Helsinger-Tragödie …« An dieser Stelle zögerte Jaz und sah erst aus dem Fenster, dann auf den wunderschönen, mit Rubinen besetzten Goldring an ihrer linken Hand. »Ich war ein Wrack. Aber ich habe alles schön fest in mir verschlossen gehalten. Nach ein paar Monaten hinter dem Schreibtisch hatte ich ein Vorstellungsgespräch bei Pete, und er
hat mich angestellt.« Ihrem Lachen fehlte jeglicher Humor. »Der Job hat mich umgebracht, und dann hat er mich gerettet. Ironisch, oder?«
Jen: »Warum erzählst du mir das alles?« Sie antwortete schnell. Zu schnell.
Jaz: »Ich denke, ich will etwas zurücklassen, wenn ich einmal nicht mehr bin. Ein Vermächtnis.«
Jen: »Du hättest genauso gut sagen können, dass es dir wichtig ist, dass die Historiker die wahre Geschichte erfahren, wenn das alles einmal nicht mehr der Geheimhaltung unterliegt.«
Jaz: »Soll heißen?«
Jen: »So oder so ist deine Antwort reiner Quatsch.«
Daraufhin lächelte sie. Sie wusste Ehrlichkeit zu schätzen, ich denke, weil sie in ihrer Welt so wenig davon zu sehen bekam.
Jaz: »Alles, was einem vorgeführt wird, wenn man den Fernseher einschaltet, ist das Ende der Welt. Irgendein Wissenschaftler mit zu wenig Fakten und zu großem Budget spricht mit einem Moderator, der nur daran interessiert ist, dem Publikum eine Heidenangst zu machen, denn so kriegst du gute Quoten, Mann. Dabei scheint niemand mehr zu wissen, dass die Menschen schon seit zweitausend Jahren über den Weltuntergang jammern. Sie sind wahnsinnig vor Angst. Sie leben in Angst. Jede Bewegung, jede Entscheidung basiert irgendwie darauf, wie verängstigt sie in dem entsprechenden Moment sind. Die Leute müssen wissen, dass es Hoffnung gibt. Dass es da draußen Leute wie mich gibt, die für sie kämpfen und sicherstellen, dass die Welt sich weiterdreht, damit sie hin und wieder ihre Angst vergessen und ein paar Momente lang glücklich sein können.« Sie lehnte sich zurück und verzog das Gesicht, als hätte sie etwas Saures verschluckt.
»Und wenn du jemals irgendwem erzählst, dass ich das gesagt habe, trete ich dir in den Arsch.«
Ich mochte sie, fühlte aufrichtige Sympathie für diese gefährliche Frau, die hier in meinem alten Bauernhaus saß, während ihr vampirischer Freund irgendwo durch meine Gärten oder Felder strich. Auch wenn mir bewusst war, dass sie mich nur deswegen ausgesucht hatte, weil sie in einer Zeitschrift eine meiner Kurzgeschichten gelesen hatte, die ihr gefallen hatte, und weil sie wusste, dass ich ihre Geheimnisse hüten würde, bis sie mir sagte, dass es Zeit war, sie zu erzählen. Was für eine seltsame Welt.
Jaz: »Die Dinge sind in Bewegung geraten. Ich werde nicht mehr lange bleiben können. Wenn ich weg bin, hast du jede Menge Zeit, um die Tor-al-Degan Geschichte zu schreiben. Aber bis dahin werde ich dir erzählen, was danach geschah.«
Jen: »Du meinst, als du aus dem Krankenhaus gekommen bist?«
Jaz: »Klar. Gott, die hatten mir die stärksten Schmerzmittel überhaupt verpasst. Ich konnte mich an nichts erinnern, was innerhalb dieser ersten Woche passiert ist. Es hat natürlich eine Weile gedauert, bis alles wieder verheilt war, aber eigentlich wollte ich dir von dieser Mission erzählen. Es ging um einen chinesischen Vampir namens Chien-Lung. Drachenfanatiker. Wäre er ein Teenager gewesen, hätte er überall in seinem Zimmer Drachenposter aufgehängt, Tattoos, T-Shirts, einfach alles! Wie dem auch sei, lass mich von Anfang an erzählen …«
Titel der amerikanischen Originalausgabe
ONCE BITTEN, TWICE SHY
Deutsche Übersetzung von Charlotte Lungstrass
Deutsche Erstausgabe
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