Ein Vampir und Gentleman: Argeneau Vampir 7
die Kuchentheke betrachtete.
„Sie hat seit fünf Jahren nicht mehr gegessen”, gab Victor beiläufig zurück und sah sich interessiert die verschiedenen Kuchen und Torten an, die zur Auswahl standen.
„Warum nicht?”, wollte Harper wissen.
„Sie wusste nicht, dass sie es darf’, war die gedankenverlorene Antwort.
„Was?” Allessandro klang entsetzt und entrüstet zugleich. „Wer ist Ihr Schöpfer, Bella? Mit dem würde ich gern ein paar Takte reden, wenn er Sie über solche Dinge im Unklaren lässt.... ”
Elvi ignorierte Allessandro, zumal sie gar nicht wusste, was er da eigentlich redete. Sie hatte keine Ahnung, was ein Schöpfer sein sollte, und im Moment gab es für sie Wichtigeres, als sich damit zu befassen. Hatte er nicht mitbekommen, dass sie unbedingt etwas essen musste? Sie wäre in ihrer Hast, aus dem Wagen auszusteigen, fast der Länge nach hingeschlagen. Nur Victors Hand hatte ihr Halt geboten, dann war sie mit einem atemlosen „Danke” an ihm vorbeigestürmt und zum Eingang gelaufen, während die Männer ihr nur noch folgen konnten, ob sie wollten oder nicht. Es war bereits so spät, dass sich kaum noch Kunden im Geschäft aufhielten, womit mehr als genug Einkaufswagen zur Verfügung standen. Ungeduldig zerrte sie einen der Wagen aus der Schlange und sprintete nahezu in den Supermarkt, während ihr die Angestellten, die die Regale auffüllten, verdutzt nachsahen. Elvi lächelte jedem von ihnen flüchtig zu, da ihr klar war, was für einen ungewohnten Anblick sie für die Leute in einem ganz normalen Supermarkt bieten musste.
Lange vor den Männern war sie an der Kuchentheke angekommen, und als die sie einholten, überlegte sie immer noch krampfhaft, wofür sie sich entscheiden sollte. Sie wollte keinen Fehler machen, immerhin war das seit fünf Jahren ihre erste normale Nahrung. Sie hoffte nur, dass noch alles so schmeckte, wie sie es in Erinnerung hatte. Der Gedanke ließ sie stutzig werden. Blut schmeckte ihr anders, seit sie eine Vampirin war. Was, wenn das auch für normales Essen galt? Früher hatte Blut einen metallenen, unangenehmen Geschmack gehabt, heute dagegen empfand sie es als köstlich. Was nun, wenn im Gegenzug Dinge, die stets köstlich gewesen waren, jetzt fade und vielleicht sogar widerwärtig schmeckten? Sie musste erst einmal eine kleine Portion probieren. Auf keinen Fall würde sie tütenweise Essen nach Hause schleppen, das sie dann gar nicht mochte und das sie letztendlich nur deprimiert anstarren konnte. Aber was sollte sie nehmen?
„Elvi?” Victor klang besorgt, als er sich neben sie stellte. „Ist alles in Ordnung?”
„Ich brauche etwas”, murmelte sie.
„Was brauchen Sie denn?”, fragte er. Dabei fiel ihr auf, dass er sich sehr verhalten anhörte, als hätte er ein tollwütiges Tier vor sich.... oder eine verrückte Vampirin. Die Frage nach der richtigen Kostprobe war wichtiger, als sich mit Victors Tonfall auseinanderzusetzen. Außerdem verstand er sowieso nicht, was sie durchmachte. Sie hatte seit fünf Jahren nichts mehr gegessen. Seit fünf Jahren! Seit tausendachthundertfünfundzwanzig Tagen. Das waren tausendachthundertfünfundzwanzig Mahlzeiten. Eigentlich waren es noch mehr, weil es nächsten Winter sechs Jahre sein würden. Bis dahin waren es nur noch ein paar Monate. Wie viele Mahlzeiten kamen da genau zusammen?, überlegte Elvi und begann zu rechnen, als ihr klar wurde, wie unwichtig die exakte Zahl eigentlich war. Sie hatte seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen, und sie wollte unbedingt etwas zu sich nehmen.
„Kann ich dir irgendwie behilflich sein, Elvi?”
Sie sah zur Seite und musste lächeln, als sie Dawn Geoffreys entdeckte, die Enkelin einer guten Freundin. Dawn arbeitete hier im Supermarkt und trug Dienstbekleidung.
„Ja, meine Liebe”, erwiderte Elvi und strahlte sie an. „Ich brauche eine Kleinigkeit, um mal zu probieren.”
„Zu probieren?”, wiederholte Dawn, dann riss sie erstaunt die Augen auf. „Du meinst, du willst was essen?”
„Ja. Diese Männer da sagen, dass ich ganz normal essen kann, aber ich will zuerst nur einen Happen probieren, um.... ” Sie verstummte, als sie über Dawns Schulter hinweg eine ältere Frau sah, die sich ihnen näherte.
„Mrs Ricci”, begrüßte Elvi sie verwundert und schaute dann auf ihre Armbanduhr. Es war mitten in der Nacht, um diese Zeit sollte eine Frau in Leonora Riccis Alter längst im Bett liegen, war sie doch bereits weit über achtzig. „Was machen Sie denn noch
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