Ein verboterner Kuss
Tochter.“ Prudence musste ihren Schwestern davon erzählt haben.
Grace brachte kein Wort heraus. Sie umklammerte ihr Glas mit beiden Händen, und die Tränen strömten ihr über die Wangen.
„Ich hätte den vermaledeiten Besitz auch gern ganz allein gekauft, aber davon wollten die anderen nichts wissen“, bemerkte Großonkel Oswald. „Ich wollte immer, dass jedes Einzelne von euch Mädchen glücklich wird, und ich will verdammt sein, wenn ich zulasse, dass unser letzter kleiner Schatz sich wegen ein bisschen Land opfert.“ Er zog ein großes Taschentuch hervor und schnäuzte sich geräuschvoll. „Es ist also abgemacht. Du heiratest den Jungen, und wir schenken euch den Besitz zur Hochzeit. Auf Grace und DAcre!“
„Auf Grace und DAcre!“ Sie tranken alle auf die beiden.
„Und wenn du den Jungen dazu bringen kannst, die Renovierung des Besitzes etwas langsamer anzugehen, bekommen wir ihn vielleicht sogar zu einem günstigeren Preis.“
„O Gott“, rief Grace entsetzt aus. Alle Blicke richteten sich auf sie. „Er ist gerade unterwegs, um Wolfestone zum Verkauf anzubieten!“
„Dann werden wir ihm wohl nachreisen und ihn daran hindern müssen, nicht wahr?“, schlug Gideon ruhig vor.
„Wer ,wir‘?“, fragte Großonkel Oswald.
„Jeder, der Grace begleiten möchte.“
„Da ist das Dorf!“ In der letzten halben Stunde hatte Grace unentwegt den Kopf zum Kutschenfenster hinausgestreckt, um sich den ersten Blick auf Wolfestone nicht entgehen zu lassen.
Der Tross der Reisekutschen der Merridews rollte ganz langsam durch das Dorf. Grace hatte an die Hühner gedacht -kein Huhn von Wolfestone sollte unter ihren Kutschenrädern den Tod finden. Vor dem Gasthaus stand Billy Finn und winkte ihr aufgeregt zu. „Sie sind spät dran, gute Dame. Die Trauung hat bereits angefangen!“
„Welche Trauung? Anhalten! “, rief Grace dem Kutscher zu. „Miss Mellys natürlich! Sie sieht wirklich hübsch aus.“ Großonkel Oswald streckte ebenfalls den Kopf aus dem Fenster. „Wo ist DAcre?“
„Natürlich auch in der Kirche“, gab Billy trocken zurück, als hielte er das für eine ganz dumme Frage. „Alle sind da. Nur ich nicht.“ Er verzog das Gesicht. „Ich mag keine Hochzeiten. Meine Mutter weint dann immer.“
„Wo ist die Kirche?“, wollte Großonkel Oswald wissen. Billy zeigte in die entsprechende Richtung.
„Alle zur Kirche!“, rief Großonkel Oswald den fünf Kutschern zu. „Da entlang!“
Fünf Reisekutschen holperten über die schmale Straße und hielten vor St. Stephen’s an. Fünf Kutschentüren flogen auf, und fünf Männer sprangen heraus, ohne abzuwarten, bis die Trittstufen ausgeklappt wurden. Und ohne auf die Damen Rücksicht zu nehmen, stürmten fünf Männer auf die Kirche zu.
Großonkel Oswald rannte allen voran. Lautstark riss er die Kirchentür auf. Da stand ein Bischof in seinem prunkvollen Ornat und mit einer hohen Mitra. Da stand die Braut in cremeweißer Spitze. Da stand ein riesiger Türke mit einem riesigen Turban und funkelte ihn aufgebracht an. Großonkel Oswald blinzelte, um zu prüfen, ob seine Augen ihm nicht einen Streich spielten. Es war tatsächlich ein Türke.
Der Türke trat zur Seite, und Großonkel Oswald schnaubte. Denn dort stand völlig schamlos Lord D’Acre in festlichem Hochzeitsanzug und hielt die Hand der Braut.
„Die Trauung findet nicht statt!“, brüllte Großonkel Oswald. „Lassen Sie sofort diese Frau los, D’Acre, Sie verabscheuungswürdiger Schuft!“
Man hätte eine Stecknadel auf den Boden fallen hören, so still wurde es in der Kirche.
„Ich muss doch sehr bitten“, protestierte der Bischof mit der salbungsvollen Stimme, die Bischöfe sich mit der Zeit so angewöhnten.
„Das sollten Sie allerdings, und zwar um Vergebung!“, polterte Großonkel Oswald. „Diesen ... diesen Schurken mit dieser Frau zu verheiraten, obwohl er bereits mit meiner Großnichte verlobt ist!“
Die Braut drehte sich um und sah ihn erschrocken an. Großonkel Oswald nickte ihr freundlich zu. „Guten Tag, Melly. Du siehst sehr hübsch aus, meine Liebe.“
Der Bischof lief dunkelrot an. „Wie können Sie es wagen, in meine Kirche zu stürmen und mit völlig haltlosen Anschuldigungen um sich zu werfen? Das ist meine Trauung und ... “ „Haltlose Anschuldigungen? Ich werde Ihnen ...“
Ein schlaksiger junger Mann trat vor und sah Großonkel Oswald an. „Ich denke, das ist ein Missverständnis ...“ „Erzählen Sie mir nicht, was was ist, junger
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