Ein verführerischer Akt
akademische Bildung genossen haben, Mylord«, sagte Lady Rose, »reden alle voll Bewunderung von Ihren Kenntnissen und Fähigkeiten.«
»Ach ja, Bewunderung?« Sein Mund verzog sich zu einem dünnen Lächeln. »Aber es stimmt, dass ich mir das meiste selbst angeeignet habe. Trotzdem sollte man die Vorteile einer guten Schulbildung nutzen, wie ich meinen Brüdern immer wieder erkläre.«
»Wie viele haben Sie, Mylord?«, fragte Rebecca.
Er sah sie mit seinen grauen Augen ruhig an. »Zwei, Miss Leland, achtzehnjährige Zwillinge.«
»Dann sind sie ja noch so jung«, meinte Susanna. »Ich habe das Gefühl, dass mein achtzehnter Geburtstag schon endlos lange zurückliegt.«
Die Mutter bedachte sie mit einem peinlich berührten Blick, weil Susanna so unverblümt auf ihr fortgeschrittenes Alter – sie war siebenundzwanzig – anspielte. Das durfte sich bestenfalls eine verheiratete Frau erlauben.
»Jugend ist kein Vorwand, den gesunden Menschenverstand außer Acht zu lassen«, meinte Julian.
»Vielleicht sehen Ihre Brüder ja, dass Sie keine Universitätsbildung genossen und trotzdem Ihren Weg gemacht haben, Mylord«, vermutete Rebecca.
Sie sahen einander einen Moment lang an. Etwas zu lange wohl, denn Lady Rose zog die Augenbrauen hoch.
»Susanna, begleite mich doch bitte zu dem Tisch mit den Desserts«, sagte sie. »Ich fühle mich plötzlich ganz ausgehungert. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Nachmittag, Mylord.«
Susannas Augen suchten entschuldigend die ihrer Schwester, als sie von ihrer Mutter förmlich fortgeschleift wurde.
Julian bemerkte den Blick, den die Schwestern wechselten, und unterdrückte ein Lächeln. Susanna schien der Ansicht zu sein, Rebecca mit dem Leibhaftigen persönlich alleine zu lassen, doch wer wollte ihr das nach den Ereignissen der vergangenen Nacht verdenken?
Rebecca dagegen … Er begriff ihr Verhalten nicht ganz. Gestern die unerschrockene, ja furchtlose Anführerin in einer Situation, in der sie in die Enge getrieben worden war, gab sie sich heute wie eine züchtige, zurückhaltende junge Dame – ganz wie die Gesellschaft es erwartete – und unterwarf sich vollständig der Führung ihrer Mutter.
»Das hat Lady Rose aber sehr geschickt eingefädelt«, meinte Julian.
»Sie hat viel Übung darin«, erwiderte Rebecca trocken.
»Dann würde ich doch vorschlagen, dass wir sie nicht enttäuschen.« Er hielt ihr seinen Arm hin. »Hätten Sie etwas dagegen, einen kleinen Spaziergang mit mir zu unternehmen?«
Sie musterte ihn mit einem leicht spöttischen Ausdruck in den Augen, während ihre Lippen sich zu einem verführerischen Lächeln verzogen, und legte schließlich ihre Hand leicht auf seinen Arm. »Ich nehme an, dass mir in einem Wintergarten nicht viel passieren kann.«
»Sie könnten immer noch schreien«, entgegnete er.
»Um dann verheiratet zu werden, ehe die Woche vorbei ist? Lieber nicht.«
»O weh, Sie treten mein Selbstwertgefühl mit Füßen. Würden nicht viele junge Damen gerne mit einem Earl verheiratet sein?«
»Anscheinend nicht gar so viele, denn sonst wären Sie nicht mehr unverheiratet.«
»Das ist Absicht. Ähnlich wie bei Ihnen vermutlich.«
»Da mögen Sie recht haben, Mylord.«
Sie gingen eine Weile schweigend weiter, wobei sie in dem riesigen Glasbau bald außer Sicht der anderen Gäste gerieten, deren Stimmen jedoch die ganze Zeit weiter im Hintergrund zu hören waren. Schließlich erreichten sie den Ausgang zum Garten und blieben stehen, als würden sie die Aussicht genießen, aber Julian wusste, dass es sich ganz anders verhielt.
Zumindest er war mit einer ganz anderen Aussicht beschäftigt, nämlich mit ihr. Ihr Kleid schmiegte sich an ihren Oberkörper und ließ Rundungen erahnen, die denen auf dem Gemälde ähnelten. Sie war schlank, ohne zerbrechlich zu wirken, klein, aber mit weiblichen Formen. Ihr Haar trug sie kunstvoll gelockt und mit Bändern geschmückt. Der Ausschnitt ihres Mieders war so züchtig hochgeschlossen, dass er sich unwillkürlich fragte, ob sie wohl den Diamanten darunter verbarg.
Nur Geduld, mahnte er sich. Er hatte den Vormittag damit verbracht, diskret Erkundigungen über ihre Familie einzuziehen, und obwohl er von einigen Skandalen erfahren hatte, traute er niemandem einen solch frevelhaften Raub zu. Rebecca selbst kam ohnehin nicht infrage – dafür war sie viel zu jung. Wie aber war der Schmuck in ihren Besitz gelangt?
Um das herauszufinden, musste er ihr Vertrauen erringen. Er hatte während des Essens
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