Ein verführerischer Akt
Arme wärmend um ihren Körper. Auf dem Rost knisterten leise die restlichen Kohlen, und im Zimmer nebenan hörte man einen Mann laut schimpfen. Fühlte sie sich etwa einsam? Sie hatte ihr ganzes Leben mit ihrer Schwester und ihrem Bruder, ihren vielen Cousins und Cousinen verbracht. Alle waren genauso überfürsorglich gewesen wie ihre Eltern. Sie hatte gedacht, sie würde das Alleinsein deshalb mehr genießen.
Plötzlich wurden die Fensterläden aufgerissen.
Sie stieß einen leisen Schrei aus und sprang mit wild klopfendem Herzen zur Tür, doch es war bloß Julian, der Kopf und Schultern durch das Fenster schob. Der korrekte Earl of Parkhurst kletterte an Hauswänden hoch?
Sie hielt sich den Mund zu, um nicht loszukichern, und beobachtete, wie er sich hochzog, einen Fuß aufs Fensterbrett setzte und dann ins Zimmer sprang, sich dort zu seiner beeindruckenden Größe aufrichtete. Sie wartete darauf, dass er auf sie losging, um sie zur Rede zu stellen, aber er tat nichts dergleichen, sondern sah sie nur an.
»Es war ein Scherz«, sagte sie und spreizte die Hände.
»Ich weiß.«
War er überhaupt dazu in der Lage, wütend zu werden, die Beherrschung zu verlieren, irgendetwas Unbesonnenes zu tun? Wahrscheinlich würde er nur sagen, dass er sie beschützen müsse.
Langsam kam er auf sie zu. »Sie haben die Folgen Ihres ›Scherzes‹ nicht bedacht. Dies hier ist eines der schlimmsten Gasthäuser, die man sich vorstellen kann. Wer weiß, wem der Wirt Bescheid gegeben hat, um eine allein reisende Frau auszurauben.«
Sie trat unruhig von einem Bein aufs andere; denn sie wusste nicht, in was für einer Stimmung er war. »Sie haben recht. Es tut mir leid.«
Er musterte sie mit unergründlichem Blick. »Wo ist die Wanne?«
»Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie daran gedacht haben, mir eine hochbringen zu lassen«, erklärte sie und wurde von Minute zu Minute verwirrter.
»Ich werde mich verstecken, wenn sie kommt«, sagte er. Dann zog er eine Augenbraue hoch, und ein Lächeln spielte um seine Lippen. »Außer Sie wollen, dass alle denken, Sie würden mit Ihrem Diener schlafen.«
Sie erwiderte sein Lächeln, schien entschlossen, ihm zu zeigen, dass sie auf seine Scherze eingehen konnte.
»Haben Sie noch Hunger?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann finde ich, dass Sie mir ein paar Fragen beantworten sollten, während wir warten.« Er setzte sich auf den einzigen Stuhl, der sich im Raum befand.
»Was für Fragen denn?«, erwiderte sie und versuchte völlig gelassen zu wirken.
»Ehe wir in Manchester ankommen, möchte ich mehr über diesen Künstler, Roger Eastfield, und das Gemälde, für das Sie gesessen haben, erfahren.«
Und dann zog er sie auf seine Knie. In Rebecca stiegen nervöse Unruhe, Unsicherheit und … neugierige Erwartung auf.
Kapitel 12
Julian genoss das Gefühl, Rebeccas weibliche Rundungen auf seinen Schenkeln zu spüren, und bemerkte gleichzeitig, dass sie sich verkrampfte, denn ihr Rücken war durchgedrückt wie bei einem Schulmädchen. Sie traute sich nicht einmal, sich bei ihm anzulehnen, und dabei hatte sie ihn erst gestern aufgefordert, sie zu küssen. Es amüsierte ihn zu sehen, wie sehr er sie aus dem Gleichgewicht brachte. Aber er musste sie unbedingt dazu bringen, dass sie begriff, in welch unsicherer Umgebung sie sich derzeit bewegte, und dass sie sich entsprechend verhielt.
»Ich könnte mich aufs Bett setzen«, meinte sie ruhig.
»Und welchen Genuss hätte man davon?«
Er schlang einen Arm um ihren Rücken, legte eine Hand auf ihre Hüfte und die andere auf ihr Knie. Sie konnte ihren überraschten Blick nicht davon abwenden.
Er sprach erst weiter, als sie ihm wieder in die Augen sah.
»Ich nehme an, Eastfield hat Ihr Bild im Laufe des letzten Jahres gemalt?«, fragte Julian.
Sie blinzelte verwirrt, als habe sie den Grund ihres Gesprächs vergessen. »Am Ende der Ferien.«
»Sie waren nicht in Cambridgeshire?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir wollten, dass mein Bruder und seine Frau mehr Zeit füreinander hatten, und verbrachten Weihnachten deshalb in London.«
»Ach ja, er galt ja lange als verschollen bezeihungsweise tot. In Indien, wenn ich nicht irre.« Er streichelte ihr Knie ruhig, fast schon abwesend mit den Fingern. »Wissen Sie, wie lange Eastfield sich in London aufhielt?«
»Nein, ich habe ihn nicht gefragt. Ich weiß nur, dass er zuvor mehrere Jahre in Frankreich lebte.«
»Wohin er geflohen sein könnte nach dem Diebstahl des
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