Ein verfuehrerischer Handel
höchster Enttäuschung. Eigentlich hatte er seit langer Zeit schon akzeptiert, dass das Leben bei Licht besehen nichts anderes darstellte als eine Reihe von Enttäuschungen. Die Dinge lagen einfach so.
Er griff nach dem Feuerhaken neben dem Kamin, dann kniete er nieder, um die orangeroten Flammen anzufachen; in Gedanken sah er immer wieder die Szene vor sich, die er im Roten Salon mitbekommen hatte. Wut stieg in ihm auf, wie schon zuvor, und seine Finger schlossen sich fester um den langen Eisenstab.
Seine lange erwartete Begegnung mit Ariel Summers war so anders ausgefallen, als er sie sich vorgestellt hatte. Nicht im Traume wäre ihm je der Gedanke gekommen, die süße junge Frau aus den zahllosen Briefen in den Armen des verrufensten Lebemannes von ganz London vorzufinden - seines ärgsten Feindes, Phillip Marlin. Justin wünschte das
Mädchen in die Hölle für die Ernüchterung, die er fühlte -und gratulierte sich insgeheim, dass er ihr nicht einen noch viel größeren Wutausbruch serviert hatte.
Er legte den Feuerhaken wieder beiseite, ging zu der geschnitzten Anrichte hinüber und goss sich einen Brandy ein - dabei waren seine Gedanken bei seinem Rivalen seit ihrem gemeinsamen Aufenthalt in Oxford. Mit seinem guten Aussehen und dem machtvollen Namen der Familie war Phillip verwöhnt und arrogant - immer bereit, sein beachtliches Taschengeld dazu zu nutzen, einen Kreis speichelleckender Freunde um sich zu versammeln. Er gehörte zu der Art von Mensch, der Freude daran hatte, andere lächerlich zu machen und nutzte die Schwächen der anderen aus.
Als Junge und Student hatte Justin gegen seine Altersgenossen gekämpft, die ihn wegen seiner unehelichen Geburt neckten; er hatte seine Fäuste benutzt, um ihnen ihre Grausamkeiten heimzuzahlen, und mehr als einmal bekam er den Rohrstock zu spüren, wegen Prügeleien im Schulhof beziehungsweise Collegegelände. Schließlich zog er sich ganz einfach zurück, mehr und mehr wurde er zum Eigenbrötler. Er lernte, seinen Zorn unter Kontrolle zu halten und auch seinen Schmerz. Letzteren ersetzte er durch Zynismus, der die Menschen auf Abstand hielt und ihn vor der Welt schützte.
Er hielt sich von Phillip Marlin und seinen boshaften, spöttischen Kumpanen fern - bis zu der Nacht, in der Justin ihm mit Molly McCarthy in einem Gasthaus in Oxford begegnete. Molly war ein keckes, respektloses Ding, das sich ein paar Münzen verdiente, indem sie sich um die Bedürfnisse der örtlich ansässigen Männer kümmerte. Sie machte kein Geheimnis daraus; doch Phillips Ego war so groß, dass er irrtümlicherweise glaubte, ihre Gunst gehörte nur ihm. In der Nacht, in der er sie mit einem seiner Freun-de im Bett erwischte, drehte er durch, verwüstete das ganze Zimmer; dann ließ er seine Wut an Molly aus, brach ihr den Arm und schlug sie, bis Justin, der in diesem Augenblick den Flur durchquerte, keine andere Wahl hatte, als ihn aufzuhalten.
Der Kampf fiel für Phillip kurz und sehr schmerzhaft aus. Mit einem Mann zu kämpfen, der gelernt hatte, sich per Faust zu verteidigen, brachte ihm zwei blaue Augen ein, eine gebrochene Nase und eine blutende Lippe.
Phillips Rache würde Justin nun endgültig verfolgen.
Bei der Erinnerung daran biss er die Zähne zusammen. Er nippte an seinem Brandy, den er nur sehr selten trank, und der in seinem Hals kratzte. In ihren Räumlichkeiten am anderen Ende des Flurs schlief Ariel sicher schon - ihr flachsfarbenes Haar auf dem Kopfkissen ausgebreitet, ihre hübschen, rosigen Lippen vom Schlaf ganz weich ... Es war nie seine Absicht gewesen, sie auf den abscheulichen Handel festzunageln, den sie mit seinem Vater abgeschlossen hatte; aber als er sie mit Marlin ertappte - in dem teuren Kleid, mit seinem Geld bezahlt -, war etwas in ihm zerbrochen.
Am liebsten hätte er Phillip Marlin umgebracht.
Justin nippte noch einmal an seinem Brandy, dann stellte er den Schwenker auf den Kaminsims. Was sollte er tun? Hatte er wirklich mit diesem Mädchen nichts im Sinn?
Ganz ohne sein Zutun erstand vor seinem inneren Auge das schattenhafte Bild von blassen, rosigen Brustspitzen, langen, wohl geformten Beinen, schmalen Fesseln und dem daunenweichen silbergoldenen Haardreieck, das ihre Weiblichkeit verbarg. Mit ihrer reinen Haut und den feinen Zügen übertraf nun Ariel Summers noch die höchsten Erwartungen seines Vaters.
Edmund Ross hätte nicht die leisesten Bedenken gehabt, von ihr zu verlangen, sein Bett zu wärmen - ganz besonders dann nicht, nachdem
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