Ein verführerischer Pakt
er nicht bis an dieses Fenster gelangt sein. Mindestens einer von den beiden Bradshaws war anwesend, empfing aber keinen Besuch. Guy schmunzelte und widerstand der Versuchung, dem unsichtbaren Beobachter zuzuwinken.
Er wusste, er hatte Clive Angst eingejagt, wahrscheinlich sogar panische Angst. Vielleicht setzte sein Ausritt hierher jetzt dem Komplott gegen Lily ein Ende, wenn denn eines im Gange war.
Natürlich war es das. Guy verdrängte die Zweifel, die sich immer wieder ungebeten meldeten. Warum sonst hatte man den weiten Weg nach London auf sich genommen, um sie im St. Mary's of Bethlem einzuweisen? Weil sie hier in der Gegend mit einer Einlieferung wahrscheinlich nicht durchgekommen wären, deshalb. Und warum hatte ihr Bewacher geplant, ihr irgendein Mittel zu verabreichen, damit sie sich wie eine Geistesgestörte verhielt, wenn die Amtsärzte sie untersuchten? Weil sie eben nicht irre war.
Guy verabscheute sich dafür, dass er nicht absolutes Vertrauen hatte, was Lilys geistige Fähigkeiten betraf. Sie jedenfalls verließ sich blind auf ihn, sonst hätte sie nicht ihr Leben und das ihres Sohnes in seine Hände gelegt. Dennoch konnte er nicht umhin, sie allein deswegen für ein klein wenig verrückt zu halten. Schließlich war sein eigener Verstand noch mehr gefährdet als ihrer.
Er ritt im gestreckten Galopp zur Poststation, gab rasch die Briefe auf und eilte auf dem schnellsten Weg zurück nach Sylvana Hall. Noch war ihm nicht wohl dabei, Lily und Beau für längere Zeit allein zu lassen.
"Ist er weg?" fragte Bernadette Dr. Ephriam. "Konnte Evan ihn davon überzeugen, dass ich nicht da bin?"
"Ja, er ist fortgeritten." Der Arzt richtete den Faltenwurf des Vorhangs. "Hättest du nicht lieber mit Duquesne sprechen sollen? Du hättest herausfinden können, was er vorhat."
"Er hat mich aus meinem eigenen Haus geworfen. Das war sein Plan gewesen."
"Liebste, bitte rege dich nicht auf." Dr. Ephriam ging zu ihr und kniete sich vor sie, ein ergebener Sklave wie schon all die Jahre zuvor.
Bernadette schmiegte ihren Kopf an seinen. "Aber ich kann nicht anders, Augustus. Diese zweite Ehe von Lily ist eine Katastrophe! Was soll ich bloß tun? Clive ist vollkommen fertig. Er sagt kaum noch etwas."
"Aber, aber. Er ist ein erwachsener Mann, Liebste, kein Kind mehr, das deinen Schutz braucht." Als sie einwenden wollte, dass er immer ihr Sohn und ihr einziger Grund zu leben sein würde, legte er ihr beschwichtigend den Finger an die Lippen. "Ich werde mit ihm sprechen, wenn du möchtest. Ich werde ihn beruhigen und ihm versichern, dass alles gut wird."
"Wird es das denn, Augustus?" Sie brachte gekonnt ein paar Tränen hervor. "Wird es je eine Gerechtigkeit für all das geben?"
"Aber sicher, mein Herz. Du wirst sehen." Er griff nach dem Glockenstrang. "Ich werde deinen neuen Diener bitten, dir Tee zu bringen. Das ist eine ärztliche Anweisung!"
"Er ist kein Diener, Lieber, sondern ein Privatsekretär. So lautet die korrekte Bezeichnung." Bernadette umfasste sein Gesicht mit ihren Händen und sah ihm tief in die Augen. Die Falten um diese, das verblichene Blau der Iris und die feinen Äderchen im Weiß erinnerten sie daran, dass er nicht mehr jung war. Zum Glück hatte sie Evan eingestellt.
Lily verbrachte den Tag damit, die Kleiderschränke aufzuräumen. Schon bald würden Guys Sachen eintreffen, und dann brauchte er Platz, um sie unterzubringen. Sie mottete die Trauerkleidung ein, die sie nun schon so lange getragen hatte, und ersetzte sie durch ihre früheren, farbenfrohen Gewänder und Accessoires.
Diese triviale Beschäftigung tröstete sie und gab ihr das Gefühl, als verliefe ihr Leben ganz normal. Vielleicht wurde es jetzt ja wirklich normal. Sie hatte wieder einen Ehemann, der sie zudem sehr gern zu haben schien. Ihr Sohn akzeptierte ihn. Auf Sylvana Hall konnte sich alles nur noch zum Besseren wenden. Dass Clive und seine Mutter nicht mehr da waren, stellte eine große Erleichterung dar, vermutlich auch für die Bediensteten. Wie froh sie war, dass die beiden ihr nicht mehr vor den Füßen herumliefen.
Lily versuchte, nicht an ihre zusätzlichen Pflichten als Ehefrau zu denken, aber das war schwierig. Nicht, dass diese unangenehm gewesen wären … Es ging jedoch nicht an, dass sie bei dem Gedanken daran ständig seufzte oder errötete, das würde bald auffallen! Selbst jetzt konnte sie kaum ein Lächeln unterdrücken, als sie sich flüchtig fragte, welche Abenteuer wohl später noch, nach
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