Ein verführerischer Schuft
die Stadt gekommen waren, warfen ihnen und ihrem Kreis - Tony, Geoffrey und Sir Freddie sowie eine Reihe anderer angesehener Herren - begehrliche Blicke zu. Die wichtigen Gastgeberinnen und die älteren Damen, deren Meinung ausschlaggebend war, hatten sich an sie gewöhnt. Sie lächelten bloß, nickten gnädig und bahnten sich einen Weg durch die Menge.
Wegen Adrianas eindeutiger Bevorzugung von Geoffreys Gesellschaft, was der ihr übrigens mit gleicher Münze vergalt, war die Billigung durch diese Damen allerdings auch nicht länger zwingend erforderlich. Alicia hätte alle Anforderungen der Gesellschaft problemlos erfüllt, wenn sie nicht plötzlich Tony und die mit ihm verbundene Ablenkung in ihrem Leben gehabt hätte.
Tony verließ jeden Morgen vor dem Morgengrauen ihr Bett; tagsüber ritt er zur Küste, in verschiedene Städte und Ortschaften, in die Downs, nach Southampton und Dover, sprach mit seinen geheimnisvollen Kontaktleuten, suchte pausenlos Informationen, die Licht auf A.C.s üble Machenschaften werfen könnten.
Abends kehrte er zurück in die Stadt, in sein eigenes Haus; später dann kam er zu den Bällen und Gesellschaften, die sie zu besuchen beschlossen hatte.
Jeden Abend wartete sie, unterhielt sich mit den Umstehenden, war aber in Gedanken woanders; die drehten sich um nur eines, plagten sie mit Fragen … bis er eintraf. Jedes Mal, wenn er erschien, sich über ihre Hand beugte und sie sich dann auf den Ärmel legte, seinen Platz an ihrer Seite einnahm, machte ihr Herz einen Satz. Sie versuchte das zu unterdrücken, wartete erzwungenermaßen geduldig auf später, denn die Ballsäle waren mittlerweile derart überfüllt, dass es nicht sicher war, hier über seine Ermittlungen zu sprechen.
Erst später, wenn er sie nach Hause geleitet hatte, ihr in ihr Schlafzimmer gefolgt war, redeten sie darüber. Er berichtete ihr, was er den Tag über alles getan und erfahren hatte. Schnipsel von Informationen bestätigten ihre Vermutung, dass A.C. irgendwie davon profitiert hatte, indem er dafür sorgte, dass gewisse Schiffe vom Feind gekapert wurden. Aber nichts von ihren Entdeckungen warf genug Licht auf die Sache, dass sie hätten erkennen können, wie er das bewerkstelligt hatte.
Später dann … kamen sie in ihrem Bett zusammen, und der Tag verblasste, bis nichts mehr zählte, was sich außerhalb des Kokons aus Decken und den Armen des anderen befand. Nichts außer ihnen und ihrer Liebe war von Bedeutung, schien echt.
Und wieder später lag sie dann in seinen Armen, umgeben von seiner Kraft und Stärke, lauschte seinem stetigen Herzschlag und wunderte sich … über sich selbst, wo sie war, wohin sie sich bewegte … aber diese Momente waren nur flüchtig, zu kurz, um zu irgendeinem Schluss zu kommen.
Und dann ging die Sonne auf, und ein neuer Tag begann, ein Tag randvoll mit Dingen, die sie zu tun hatte: dafür sorgen, dass das Leben ihrer Brüder nicht aus dem Ruder lief und ihr Unterricht ordnungsgemäß gehalten wurde, dass Adrianas und Geoffreys Romanze weiter blühte und alles Mögliche andere. Dass die Fassade, die sie der Welt präsentierten, nicht in Schieflage geriet oder Risse bekam.
Unter dem gesellschaftlichen Trubel war sie sich unterschwelliger Aktivitäten bewusst. Es passierte etwas. Tony und seine Freunde untergruben nach und nach immer mehr von A.C.s Verteidigungswällen - an einem gewissen Punkt würden sie durchbrechen. Zweimal hatte sie ein wachsames Gesicht auf der Straße bemerkt; der Anblick erinnerte sie an die mögliche Gefahr, bewirkte, dass sie in ihrer Wachsamkeit nicht nachließ.
Sie versuchte zwar, Zeit zu finden, in Ruhe über alles nachzudenken, aber als sie sich gerade einmal dazu zurückgezogen hatte, platzte Adriana herein, völlig aufgelöst, weil bei einem neuen Kleid die Falten einfach nicht gerade fallen wollten. So kam es, dass sie ihre nicht wirklich greifbaren Sorgen beiseiteschob und sich nicht länger den Kopf darüber zerbrach. Dazu war immer noch genug Zeit, wenn die Saison ein paar Wochen alt war, die erste Aufregung sich gelegt hatte und A.C. enttarnt war, ihre Familie wieder in Sicherheit; wenn Geoffrey um Adrianas Hand angehalten hatte … dann konnte sie auch wieder an sich selbst denken.
An dem Abend hätte sie beinahe vorgeschlagen, zu Hause zu bleiben - vielleicht eine Nachricht nach Torrington House zu schicken und eine weitere an Geoffrey Manningham, um sie zu einem ruhigen Abendessen einzuladen … Aber dann schlüpfte sie doch seufzend
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