Ein verführerischer Schuft
der taktvoll aus einer gewissen Entfernung über sie wachte.
Alles um sie herum war ruhig und heiter. Es war zu früh, als dass die vornehme Gesellschaft die Anlage bevölkerte; ein paar später Aufgestandene bewegten noch ihre Pferde auf der Rotten Row, aber die meisten Reiter waren schon wieder heimgekehrt, und die gesetzteren Damen mit ihren heiratsfähigen Töchtern kamen erst später.
Die Einsamkeit und die frische Luft waren genau das, wonach sie sich jetzt sehnte. Nachdem sich die Tür hinter Tony geschlossen hatte, war sie noch zehn Minuten im Bett liegen geblieben, bevor die Gedanken, die ihr wieder und wieder durch den Kopf schossen, sie bewegten aufzustehen. Sie hatte nach Bertha geläutet, sich gewaschen und angezogen, dann war sie zu Miranda und Adriana in den Frühstückssalon gegangen.
Doch ihre Schwester und Tonys Cousine waren damit beschäftigt gewesen, ihre Ausflüge am heutigen Tag zu organisieren. Sie hatte sich unter dem Vorwand leichter Kopfschmerzen entschuldigt und behauptet, sie brauche ein wenig frische Luft. Die beiden anderen hatten ihre Entschuldigung angenommen und sich für den Besuch bei Lady Carlisle fertig gemacht. Sie war die Treppe hochgestiegen und hatte das Schulzimmer aufgesucht, um nach ihren Brüdern zu sehen, dann hatte sie das Haus verlassen. Maggs hielt sich ein Stück hinter ihr, wie sein Herr es ihm aufgetragen hatte.
Sie hatte seine Begleitung ohne Einwände akzeptiert. Ihr war der unauffällige Mann fast ein wenig ans Herz gewachsen. Er legte seinen Befehl, über sie zu wachen, sehr wörtlich aus, daher hatte er sich hinter einen großen Baum in einiger Entfernung zurückgezogen, stand nun da und überließ sie ihren Gedanken.
Was schließlich der Grund war, warum sie in den Park gekommen war.
Es - ihre gegenwärtige Strategie - würde nicht funktionieren. Sie hatte gedacht, es wäre am besten, wenn sie sich strikt an ihre Rolle als Tonys Mätresse hielt und sich nicht mehr wünschte; wenn sie ihre Träume unterdrückte und sich mit dem zufriedengab, was sie hatte, was er ihr aus freiem Willen gab. Aber diese Sicht auf ihre Lage wies mehrere schwere Mängel auf: Die vergangene Nacht hatte das eindeutig gezeigt und die ganze Wahrheit klar zu Tage gebracht.
Die Verbindung zwischen ihnen, so viel mehr und so viel stärker als das Körperliche, ließ sich nicht in den Grenzen halten, die das Verhältnis zwischen einem vornehmen Gentleman und seiner Mätresse kennzeichneten. Das Band zwischen ihnen war beinahe etwas Lebendiges, hatte eine eigene Kraft; und es wuchs, erstarkte und verlangte bereits nach mehr.
Letzte Nacht hatte sie ihm beinahe gesagt, dass sie ihn liebte, musste darum ringen, die Worte wieder herunterzuschlucken. In einer Nacht in nicht allzu ferner Zukunft würde sie diesen Kampf vielleicht verlieren. Auf die eine oder andere Weise würde die Wahrheit herauskommen - im Ganzen gesehen gab es noch mehr Aspekte, als diese gewichtige Tatsache.
Vielleicht trug sie schon sein Kind. Es war noch zu früh, um es zu wissen, aber die Möglichkeit war da. Am Anfang hatte sie angenommen, dass er wüsste, was zu tun sei, dass er Vorkehrungen treffen würde, um es zu verhindern, aber das hatte er nicht - und er schien es auch nicht von ihr zu erwarten. Und wenn sie ihr ungezügeltes, ja schamloses Verhalten gestern Nacht erschreckt hatte, dann bekräftigte ihre Reaktion auf die Vorstellung, Tonys Kind zur Welt zu bringen, nur den Umstand, dass sie zu wenig auf ihre unterdrückten Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume geachtet hatte. Bis jetzt.
Im Herzen und etwas weniger deutlich im Kopf wusste sie, was sie wollte. Die Frage, vor die sie sich gestellt sah, bestand nun darin, wie sie sie bekommen sollte; die Dinge einfach auf sich beruhen zu lassen, das war nicht länger eine Option.
Sie atmete tief ein, hob den Kopf und schaute zu ein paar Bäumen in der Ferne. Sie hatte ernstliche Risiken in Kauf genommen, Adrianas Zukunft und die ihrer Brüder zu sichern, kühn alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Jetzt war es an der Zeit, etwas wegen ihrer eigenen Zukunft zu unternehmen - die Träume zu verwirklichen, die zu träumen sie sich nicht gestattet hatte, die Tony aber zu neuem Leben erweckt hatte.
Sie würde mit ihm reden. Entschlossen reckte sie ihr Kinn. Sobald A.C. verhaftet war, würde sie mit Tony sprechen, erklären, wie sie ihretwegen empfand, was sie über ihre gemeinsame Zukunft dachte. Wie er darauf reagieren würde, das war ein Risiko, eine
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