Ein verführerischer Schuft
hatte, wischte sich Torrington die Finger an seiner Serviette ab und nahm seine Teetasse. Er schaute Alicias Brüder an.
»Eure Schwester hat mir erzählt, dass ihr in Warwickshire lebt - gibt es dort genug, um sich die Zeit zu vertreiben? Jagen, Fischen oder Fuchsjagden?«
David rümpfte die Nase.
»Man kann ein wenig angeln, auch auf die Jagd gehen, aber Fuchsjagden eher nicht, nicht bei uns wenigstens. Das ist eher südliches Warwickshire.«
Harry fuchtelte mit dem Rest seines Teekuchens herum.
»In Banbury gibt es Jagden, aber nicht bei uns in der Nähe.«
»Nun«, schaltete sich David wieder ein.
»Ein Stück außerhalb von Chipping Norton gibt es eine ganz kleine Hundemeute, mit der Fuchsjagden stattfinden, aber nicht das, was man eine echte Jagd nennen würde.«
Aus dem Augenwinkel sah Tony, wie Alicia und Adriana einen Blick wechselten; in dem Moment, in dem die Jungen angefangen hatten, Ortsnamen zu nennen, hatte sich Alicia verkrampft. Er hakte nach.
»Chipping Norton? Ist das die nächste Stadt? Ich habe einen Freund, der dort oben lebt.«
Alicia beugte sich vor.
»Harry! Pass auf! Gleich kleckerst du mit deiner Marmelade.«
Adriana griff nach seiner Serviette und wischte Harry die Finger ab. Weder Tony noch Harry konnten irgendeinen echten Grund für das unvermittelte Eingreifen seiner Schwestern erkennen.
»So.« Adriana richtete sich auf.
»Warum erzählst du Lord Torrington nicht von der Riesenforelle, die du letztes Jahr geangelt hast?«
Stattdessen starrten die Jungen Tony mit weit aufgerissenen Augen an.
»Sind Sie wirklich ein Lord?«, fragte Matthew.
Tony grinste.
»Ja.«
»Was für einer denn?«
»Ein Viscount.« Tony konnte an ihren Mienen ablesen, dass sie versuchten, sich die Reihenfolge der Adelsränge ins Gedächtnis zu rufen.
»Es ist nur ein kleiner Titel. Der zweitniedrigste.«
Aber sie ließen sich nicht beirren.
»Heißt das, dass Sie zu Krönungsfeierlichkeiten eine Krone tragen?«
»Was für einen Umhang tragen Sie?«
»Haben Sie eine Burg?«
Er lachte und beantwortete die Fragen so gut er konnte, bemerkte aber den erleichterten Blick, den Alicia Adriana zuwarf; seine Anwesenheit in ihrem Salon machte sie nervös, und das auf mehr als einer Ebene.
Ihre Brüder zu befragen war kein ritterliches Vorgehen, aber er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass, wenn es um Hochverrat ging - denn das war der Bereich, in dem er, Dalziel und Whitley in der einen oder anderen Weise zu tun hatten -, man sich nicht von ritterlichen Skrupeln aufhalten lassen durfte. In diesem besonderen Theater war solche Feinheiten zu beachten der beste Weg, ein frühes Ende zu finden - und dabei das eigene Land im Stich zu lassen.
Er verspürte keine Reue, dass er die drei Jungen benutzt hatte; sie waren nicht zu Schaden gekommen, und er hatte erfahren, was er wissen wollte. Und jetzt konnte er ihre ältere Schwester ausfragen. Erneut.
»Zeit für den Nachmittagsunterricht, Jungs. Kommt mit.« Alicia stand auf und winkte ihren Brüdern, mit ihr zu gehen.
Sie standen auf und warfen Tony flehentliche Blicke zu. Der aber wusste, wie weit er gehen durfte, und ermutigte sie nicht, länger zu bleiben, sondern erhob sich ebenfalls und schüttelte ihnen mit ernster Miene die Hände.
Nachdem sie sich resigniert, aber höflich verabschiedet hatten, verließen sie im Gänsemarsch den Salon. Alicia folgte ihnen in den Flur, um sie Jenkins’ Obhut zu übergeben.
Tony nutzte die Gunst der Stunde und drehte sich zu Adriana um.
Sie war ebenfalls aufgestanden und lächelte.
»Ich glaube, Sie sind mit Lord Manningham bekannt, Mylord.«
»Ja. Er ist ein alter Freund.«
Belustigung blitzte in ihren braunen Augen auf, was die Vermutung nahelegte, dass Geoffrey ihre Beziehung farbenfroher beschrieben hatte.
Er hatte nicht viel Zeit.
»Ich wollte mit Ihnen sprechen. Ihre Schwester wird die Sache mit Mr. Ruskin erwähnt haben.«
Adrianas Gesicht umwölkte sich; wie bei Alicia konnte man ihr ihre Gefühle an den Augen ablesen.
»Soweit ich es verstanden habe, kennen Sie ihn nicht vom Land.«
»Nein.« Adriana erwiderte seinen Blick offen. Ihre Augen waren klar, blickten aber besorgt.
»Er ist etwa eine Woche nach unserer Ankunft in der Stadt aufgetaucht. Wir haben ihn nur ein paar Mal auf verschiedenen Abendgesellschaften getroffen, aber nie irgendwo anders.«
Sie zögerte, dann fügte sie hinzu:
»Er war kein Mann, den man mögen kann. Er war … Ach, dafür gibt es ein Wort … penetrant in
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