Ein verführerischer Schuft
seinen Aufmerksamkeiten. Ja, genau. Er hat sich ständig in Alicias Nähe aufgehalten, obwohl sie ihn nach Kräften entmutigt hat.«
Ihre Miene verriet, dass, auch wenn Alicia von ihnen beiden die Löwenmutter war, Adriana ihre Schwester leidenschaftlich verteidigen würde. Er neigte den Kopf.
»Es ist vielleicht nicht verkehrt, dass er fort ist.«
Adriana konnte dem nur zustimmen, zwar schuldbewusst, aber aus ganzem Herzen.
Alicia trat wieder ein. Er wandte sich ihr zu und lächelte.
»Danke für den unterhaltsamen Nachmittag.«
Ihr Blick verriet deutlich, dass sie nicht sicher war, wie sie das verstehen sollte. Er verabschiedete sich von Adriana; und wie er es sich insgeheim erhofft hatte, begleitete Alicia ihn zur Tür.
Nachdem sie hinter ihm auf den Flur getreten war, schloss sie die Zimmertür. Er schaute sich um. Das Schicksal meinte es gut mit ihm - sie waren allein.
Er ließ ihr keine Zeit, ihre Verteidigung zu ordnen, sondern überrumpelte sie:
»Ruskin hat in Bledington gelebt, nicht weit von Chipping Norton. Sind Sie ganz sicher, dass Sie ihm nicht doch auf dem Lande begegnet sind?«
Sie blinzelte.
»Ja - ich habe es doch schon gesagt. Wir haben uns erst kürzlich hier in London kennengelernt.« Ihre Augen, mit denen sie ihn forschend ansah, weiteten sich plötzlich.
»Oh, war er ein Freund Ihres Freundes? Den Sie eben erwähnten?«
Er schaute ihr tief in die Augen; er konnte nicht den kleinsten Hinweis auf Ausflüchte oder gar Lügen darin erkennen, nur Verwunderung und einen Anflug von Sorge.
»Nein«, antwortete er schließlich.
»Ruskins Freunde sind nicht meine Freunde.«
Diese Erwiderung, besonders der Ton, in dem er sie gab, verwirrte sie noch mehr.
»Soweit ich es verstehe, war er Ihnen lästig - inwiefern?«
Sie runzelte die Stirn, wünschte sich wohl, dass er das nicht gefragt hätte. Als er einfach wartete, hob sie den Kopf und erklärte steif:
»Er fühlte sich … zu mir hingezogen.«
Er hielt ihren Blick fest.
»Und Sie?«
Verärgerung blitzte in den grünen Tiefen auf.
»Ich mich jedenfalls nicht zu ihm.«
Seine Lippen entspannten sich.
»Verstehe.«
Sie blieben so stehen, die Blicke ineinander versunken, vielleicht zwei Herzschläge lang, dann griff er nach ihrer Hand, zog sie an seine Lippen. Er küsste ihren Handrücken und spürte das leichte Zittern, das sie durchraste. Beobachtete, wie ihre Augen groß wurden, sich verdunkelten.
Sie holte tief Luft, ihre Muskeln spannten sich für einen Schritt zurück.
Er fasste ihre Hand fester und zog sie zu sich, beugte sich vor und berührte ihren Mund mit seinem in einem flüchtigen Kuss.
Nur ein zartes Streifen der Lippen, mehr Versprechen als Liebkosung.
Er wollte, dass es kein echter Kuss war, sondern nicht mehr als eine quälende Versuchung.
Er hob den Kopf wieder und sah Überraschung, Schreck und Neugier nacheinander in ihren Augen. Dann merkte sie es, versteifte sich und lehnte sich zurück.
Er ließ sie los, hielt ihren Blick aber weiter fest.
»Ich habe es ernst gemeint, was ich gesagt habe. Mir hat der Nachmittag wirklich viel Spaß gemacht.«
Er überlegte, ob sie begriff, was er damit sagen wollte.
Ehe sie anfangen konnte, Fragen zu stellen - ehe er in Versuchung geführt werden konnte, mehr zu sagen oder gar zu tun -, verneigte er sich und ging zur Haustür.
Sie ließ ihn hinaus und schloss die Tür hinter ihm.
Als er auf dem Bürgersteig stand, blieb er kurz stehen, bis die letzten Augenblicke ihn nicht länger so beschäftigten und er sich auf das konzentrieren konnte, was er bislang in Erfahrung gebracht hatte.
Seine Instinkte waren erwacht. Etwas lag in der Luft, aber was, das musste er noch herausfinden. Er setzte sich in Bewegung und begab sich nach Hause in seine Bibliothek. Er musste eine Menge verdauen.
4
Tony verbrachte den Rest des Tages und den ganzen Abend damit, alles zu ordnen und zu analysieren, was er aus Ruskins Büro und seiner Wohnung mitgenommen hatte. Ruskins gekritzelte Notizen und die Quittungen für seine Spielschulden schienen die einzigen Hinweise zu sein, die einzigen Sachen, die weitere Untersuchung verlangten.
Nachdem er eine Auflistung der Daten angefertigt hatte, an denen die Schulden bezahlt worden waren - immer mehrere auf einmal -, und dazu die Summen aufgeschrieben hatte, hörte Tony fürs Erste auf. Wenigstens gab ihm die Arbeit für Dalziel einen Grund, den Ballsälen der guten Gesellschaft fernzubleiben.
Am nächsten Tag, kurz nach Mittag, schickte er
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