Ein verführerischer Schuft
wandte er sich an ihre Brüder, »damit ihr es mir sagen könnt, falls sie etwas vergisst.«
Die Jungen setzten sich gehorsam still hin; Adriana holte tief Luft und begann dann mit nur gelegentlich schwankender Stimme zu berichten, wie sie und Alicia sich gerade angeschickt hatten, das Haus zu verlassen, als ein lautes Klopfen an der Tür erklungen war. Die Konstabler in Begleitung des Mannes von der Bow Street hatten Einlass begehrt.
»Es waren zwei Wachmänner und der Ermittler. Er war derjenige, der die Befehle gegeben hat. Sie haben behauptet, Alicia hätte …« Sie brach ab, zwang sich durchzuatmen und fuhr fort:
»Dass sie Ruskin umgebracht habe. Erstochen! Das ist doch lachhaft.«
»Ich nehme an, sie hat ihnen gesagt, dass sie Dummköpfe sind, nicht wahr?«
»Nicht in genau diesen Worten, aber natürlich hat sie es abgestritten.«
»Die Männer wollten ihr aber nicht glauben«, warf Matthew ein.
Tony lächelte ihn an.
»Dummköpfe, wie ich schon sagte.«
Matthew nickte und lehnte sich wieder gegen Tonys Schulter.
Tony schaute Adriana an. Sie sprach weiter.
»Wir haben versucht, sie zur Vernunft zu bringen - Alicia hat sogar Ihren Namen genannt. Sie hat ihnen gesagt, Sie ermittelten in der Sache, aber sie wollten noch nicht einmal abwarten, bis sie nach Ihnen geschickt hatte. Sie waren restlos davon überzeugt - sich absolut sicher - dass Alicia eine … eine Mörderin sei!«
Aus riesigen Augen schaute Adriana ihn flehend an.
»Es waren recht grobe Männer - sie werden ihr doch nicht wehgetan haben, oder?«
Tony verkniff sich mit Mühe einen Fluch, wechselte einen raschen Blick mit Geoffrey, dann stand er auf.
»Ich werde jetzt dorthin fahren - und ich bringe sie auf direktem Weg wieder zurück zu euch. Geoffrey bleibt hier und leistet euch Gesellschaft. Wenn es eine Stunde oder noch ein wenig länger dauert, ist das kein Grund zur Sorge. Ich komme nicht ohne sie wieder.« Er zog seine Ärmel gerade und lächelte die Jungen beruhigend an.
»Ich werde mit diesem Bow-Street-Ermittler ein ernstes Wörtchen zu reden haben und dafür sorgen, dass die Herren der Wache so einen schrecklichen Fehler nicht noch einmal begehen.«
Fünf Minuten später stieg er die Stufen zur Stadtwache hoch. Zwei stramme Konstabler verließen das Gebäude gerade für ihre Runde. Sie schauten ihn an - und beeilten sich, ihm aus dem Weg zu gehen.
Tonys Absätze klapperten auf den Fliesen der Eingangshalle; er blickte sich rasch um, fixierte dann den Inspektor hinter dem schmalen Schreibtisch, der ihn mit wachsendem Missbehagen ansah. Diese Stadtwache befand sich am Rande von Mayfair; der unglückselige Inspektor war in der Lage, ein Problem als solches zu erkennen, wenn es vor ihm erschien. Seine Miene, als er eilends von seinem Stuhl aufstand, ließ den Schluss zu, dass er begriffen hatte, das Problem würde ihn treffen.
»Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir … Mylord?«
Ich glaube, Sie haben etwas, das mir gehört.
Tony verkniff sich diese Antwort, zügelte seine Wut und sagte gefährlich leise:
»Ich glaube, da ist ein Fehler gemacht worden.«
Der Mann erbleichte.
»Ein … ein Fehler, Mylord?«
»Allerdings.« Tony zog sein Kartenetui heraus, nahm eine Karte und ließ sie auf den Schreibtisch fallen.
»Ich bin Lord Torrington, und laut Whitehall bin ich verantwortlich für die Ermittlungen im Mordfall William Ruskin, zuletzt bei der Zoll- und Finanzbehörde beschäftigt. Soweit es mir berichtet wurde, sollen nun heute Abend vor etwa einer Stunde zwei Ihrer Leute in Gesellschaft eines Ermittlers von der Bow Street ein Privathaus in der Waverton Street aufgesucht und eine Dame abgeführt haben, unter Androhung von Gewalt - Mrs. Alicia Carrington. Der Unsinn, den man mir erzählt hat - ich bin sicher, Sie und Ihre Leute können es mir erklären -, ist der, dass Mrs. Carrington beschuldigt wird, Ruskin erstochen zu haben.«
Zu keinen Zeitpunkt war er laut geworden; er hatte schon vor Langem gelernt, dass der Trick dabei, Untergebene restlos einzuschüchtern, darin bestand, mit ruhiger aber stählerner Stimme mit ihnen zu sprechen.
Mit seinem Blick durchbohrte er den Inspektor, der sich nun an seinem Schreibtisch festklammerte, als bräuchte er ihn als Stütze.
»Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich derjenige war, der Ruskins Leichnam entdeckt hat. Unter diesen Umständen hätte ich gerne eine Erklärung; und ich hätte sie gerne jetzt sofort, aber erst, vor allem anderen, werden Sie Mrs. Carrington in
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