Ein verfuehrerischer Tanz
gerade einmal zwei Monate. Sie umarmte ihre Cousine, die ihr einen feuchten Schmatzer auf die Wange verpasste.
»Oh!« Die Lady lächelte verkniffen. »Jetzt muss ich dich sicher Hoheit nennen, nicht wahr?«
»Um Himmels willen, nein«, versicherte Amelia ihr. »Doch nicht unter Verwandten.« Wahrscheinlich war Lady Grantham insgeheim neidisch auf ihren gesellschaftlichen Aufstieg. Für Venetia war sie stets die verarmte Cousine gewesen, die sich irgendwann als Zofe oder Gouvernante durchs Leben würde schlagen müssen.
Sie stellte ihnen Claudia vor, die, wachsweiß im Gesicht, weil ihr dauernd übel war, dies als Vorwand nutzte, um sich wie üblich nicht gerade zuvorkommend zu benehmen. Kurze Zeit später gesellte Spencer sich zu ihnen. Er saß ab und reichte die Zügel einem wartenden Stalljungen.
»Ihre Hoheit«, murmelte Lady Grantham ehrfürchtig und sank in einen tiefen Hofknicks. »Wir fühlen uns geehrt, dass wir Sie in Grantham Lodge willkommen heißen dürfen.«
Der Duke sah wie immer umwerfend aus. Groß, attraktiv, majestätisch und von der Sonne gebräunt. Er quittierte die überkandidelte Begrüßung mit einem knappen Nicken und verkniff sich einen bissigen Kommentar.
»Kommt ins Haus.« Sir Russell gestikulierte aufgeregt.
Venetia fasste Amelias Arm, als wären sie die dicksten Freundinnen, und folgte den Männern zum Portal.
»Schön, dich wiederzusehen, meine Liebe. Als wir von deiner Heirat erfuhren, hätten wir sehr gern mit euch gefeiert. Du warst sicher auch enttäuscht, nachdem du so lange auf einen Ehemann warten musstest, nicht? Aber jetzt seid ihr hier, und alle freuen sich schon darauf, euch beide willkommen zu heißen.«
»Alle?«, wiederholte Amelia, als sie die Eingangshalle betraten.
Statt einer Antwort machte Lady Grantham eine ausgreifende Geste, und Amelia schaute sich um und erblickte …
… eine große Menschenmenge.
Besser gesagt die feinere Gesellschaft aus Oxfordshire.
Die Leute klatschten, und Jubelrufe ertönten. Amelia erkannte ein paar Verwandte und alte Freunde, aber die meisten Gäste waren gewiss Adlige aus der Umgebung, angelockt von der Aussicht auf ein Fest mit dem frisch vermählten herzoglichen Paar.
Sie fing Claudias Blick auf. Das Mädchen schluckte schwer und sah wirklich krank aus.
Spencers Blick schweifte abschätzig über die Menge.
»Ist es nicht fabelhaft?«, flüsterte Venetia und zog an Amelias Arm. »Ich weiß, dass euch ein Hochzeitsball und ein angemessenes Hochzeitsfrühstück versagt geblieben ist, aber keine Sorge. Ich habe mich um alles gekümmert. Wir haben den ganzen Abend verplant. Dinner, Musik, Tanz.«
»Wie … wie nett von dir.« Amelia ließ sich von ihrer Cousine in den Saal ziehen, bemüht, Claudia nicht aus den Augen zu verlieren. Das Mädchen musste vor dieser Horde beschützt werden.
»Komm mit, ich mach dich mit allen bekannt«, sagte Venetia. »In der Zwischenzeit können die Diener euer Gepäck nach oben bringen.«
Aus dem Augenwinkel erhaschte Amelia, wie Sir Russell Spencer freundschaftlich eine Hand auf den Rücken legte und ihn in die Menge schob. Ein endloser Vorstellungszirkus begann. Mit einem verkrampft höflichen Lächeln begrüßte Amelia alte und neue Gesichter. Spencer schien Sir Russells kumpelhafte Vertraulichkeit offenbar nicht zu schätzen. Amelia konnte in dem Lärm zwar nicht verstehen, was sie sagten, doch Spencer machte eine Miene, als hätte er die Meute zum Fressen gern. Sie seufzte. Zweifellos verabscheute ihr Gemahl solche Feste, aber konnte er nicht wenigstens die Grundregeln der Etikette beherzigen?
Lady Grantham zog sie weiter zu einer Gruppe wartender Damen. Amelia machte einen langen Hals und verfolgte, wie Spencer einem älteren Herrn vorgestellt wurde. Der Gentleman lächelte und nickte die ganze Zeit, während Sir Russell sein überschwängliches Vorstellungszeremoniell vollzog. Dann machte er wie früher bei Hofe eine tiefe, elegante Verbeugung. Kaum dass der hochgewachsene Fremde sich vor Ehrerbietung halb zusammenfaltete, drehte Spencer sich auf dem Absatz um und ging hinaus.
Hatte Spencer den Gentleman tatsächlich eiskalt stehen gelassen und damit brüskiert? Das war der Gipfel der Unhöflichkeit. Sie waren Gäste im Hause ihrer Cousine … Seine offene Verachtung für ihre Verwandten war nicht hinnehmbar. Amelia war stocksauer.
Ein bestürztes Raunen ging durch die Menge, und Amelia schäumte vor Wut.
»Lady Grantham«, begann sie, »Verzeihung, aber ich muss mich kurz
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