Ein verfuehrerischer Tanz
zurückziehen. Mir ist gerade eingefallen, dass sich in meinem Gepäck ein wichtiges Päckchen befindet. Ich habe vergessen, es dem Kutscher zu sagen. Ich sehe kurz nach dem Rechten und bin gleich zurück.« Bevor die Lady widersprechen konnte, riss Amelia sich los. »Mach doch in der Zwischenzeit Claudia mit deiner Tochter Beatrice bekannt. Sie ist fünfzehn und freut sich bestimmt über eine neue Freundin.«
Claudia in der Obhut ihrer Cousine lassend, stürmte Amelia ins Freie auf der Suche nach ihrem Mann. Als sie ihn nirgends entdeckte, ging sie zu den Stallungen. Zweifellos hatte er genug von Menschen und wollte nach den Pferden sehen.
Auf einmal hörte sie ein raues, unterdrücktes Husten. Unweit von ihr im Garten. Sie folgte dem Geräusch.
Zu ihrer großen Verblüffung stand er unter einem mächtigen Baum, verschattet von der dicht belaubten Krone.
»Spencer, was hast du?«
Zu dumm, er hatte sich nicht weit genug vom Haus entfernt.
Hektisch zerrte er an seiner Krawatte und lockerte sie. Er räusperte sich.
»Es ist nichts. Ich wollte bloß frische Luft schnappen«, antwortete er, um einen ruhigen Ton bemüht. »Unerträglich heiß da drin.«
»Ach wirklich? Finde ich nicht«, antwortete sie spröde. »Wenn irgendetwas unerträglich war, dann dein Verhalten.«
Er ließ den Kopf in die Hände sinken und atmete mehrmals tief durch, bemüht, sein Herzrasen zu kontrollieren.
»Du hast mir nichts von diesem gottverfluchten Fest erzählt, Amelia.«
»Ich wusste nichts davon.«
»Ach nein?« Er hasste sich für seinen vorwurfsvollen Ton.
»Nein, wirklich nicht.« Sie verschränkte die Arme. »Und wenn schon, was ist denn dabei? Es ist zwar nicht die Crème de la Crème der Londoner Gesellschaft, aber es sind nette Leute. Und du benimmst dich mal wieder wie die Axt im Walde. Was haben sie dir eigentlich getan?«
»Ach nichts. Gar nichts.«
Sie konnte das nicht verstehen. Und er wähnte sich nicht in der Verfassung, eine Erklärung abzugeben. Sein Kopf drehte sich wie ein Brummkreisel, er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. So viele Leute, so wenig Freiraum … darauf war er nicht gefasst gewesen. Wenn er in London Bälle besuchte, brauchte er vorher Stunden, um sich physisch und seelisch darauf einzustellen. Und er brauchte sein Quantum Brandy. Gott, in diesem Moment hätte er ein Vermögen für einen doppelten Brandy ausgegeben.
»Geh wieder rein«, sagte er. »Ich komme in einer Minute nach.«
Er musste noch ein wenig allein sein, um sich wieder zu fangen.
Sie sank neben ihn auf die Bank.
»Du hast doch irgendwas, stimmt’s?«
»Nein«, sagte er, zu schnell, um überzeugend zu klingen.
»Du zitterst und bist ganz blass.«
»Mir fehlt nichts.«
»Spencer …«
Sie klang nicht mehr ärgerlich, sondern besorgt. Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätte ihn weiter beschimpft. Er mochte seine süße aufbrausende Amelia, die er in den letzten Wochen schmerzlich vermisst hatte.
»Du machst ein Gesicht«, bohrte sie weiter, »wie damals auf der Terrasse bei den Bunscombes. Was hast du? Was fehlt dir?«
Das hatte man davon, wenn man eine kluge, aufgeweckte Frau heiratete. Er hatte zwei Optionen. Entweder sie zog es ihm aus der Nase, oder er machte es auf seine Art.
»Ich hab nichts, gar nichts«, wiegelte er ab, sein Gesicht in den Händen vergraben. »Es ist bloß so … es passiert mir manchmal, wenn zu viele Leute um mich herum sind. Ich mag dieses Gedränge nicht.«
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Du magst keine Menschenmengen, hm?«
»Ich kann nichts dagegen machen. Konnte ich noch nie. So was macht mich körperlich krank.« Da, jetzt war es heraus. Er hatte das noch nie jemandem eingestanden. Trotzdem fühlte er sich sonderbar erleichtert. Sein rasender Puls beruhigte sich, und er hob den Kopf. Er begriff seine übersteigerte Reaktion in solchen Situationen selbst nicht. Er war ein erwachsener Mann, ambitioniert, intelligent und gebildet, aber er hatte diese eine Schwachstelle, die ihn halb wahnsinnig machte. Vielleicht konnte Amelia ihm helfen.
»Wenn ich vorher Bescheid weiß«, fuhr er fort, »kann ich mich darauf einstellen. Dann geht es eine halbe Stunde lang gut, höchstens. Wenn ich länger bleibe oder unvorbereitet auf eine größere Gesellschaft treffe … passiert irgendetwas mit mir. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben kann. Mir wird heiß und ich fange an zu schwitzen. Ich bekomme Kopfschmerzen, Herzrasen und Atemnot. Als wenn mir mein Körper vermitteln
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