Ein verfuehrerischer Tanz
gemeinsam dafür sorgen, dass er sein Leben wieder in den Griff bekäme. Sie hatte schon einmal einen Bruder verloren, ein weiteres Mal vermochte sie diesen Schmerz nicht zu ertragen.
»Wir haben ein volles Haus.« Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. »Reicht dir der Speicher?«, fragte sie und bemühte sich, unbekümmert zu klingen.
»Na klar. Es sei denn, Morland …«
Eine tiefe Stimme unterbrach ihn.
»Es sei denn, was?«
Spencer kam in die Küche. »Drei Lachse, wie bestellt.« Er warf die Fische auf den Tisch und drehte sich zu Jack um.
Amelias Magen krampfte sich zusammen. Wie würde Spencer darauf reagieren, dass ihr Bruder sich wieder einmal selbst eingeladen hatte? Andererseits konnte Jack kommen und gehen, wann er wollte – schließlich war Briarbank das Haus seiner Familie.
Lord Ashworth folgte Spencer in die Küche. Beim Anblick des wuchtigen Hünen hob Jack beschwichtigend die Hände.
»Ich bin nicht hier, weil ich euch Ärger machen will. Ich habe die Papiere von Laurent mitgebracht.«
»Papiere?«, fragte Amelia. »Was denn für Papiere?«
Niemand beachtete ihre Frage. Amelia hielt den Atem an, als Spencer einen skeptischen Blick auf Jacks abgemagerten Körper und seine ungepflegte Kleidung warf. Was jetzt? Würde er Jack ärgerlich anfahren? Ihn vor die Tür setzen? Oder ihn willkommen heißen? Sie hoffte auf Letzteres und damit vermutlich auf ein Wunder.
Spencer sagte keinen Ton zu Jack.
»Ashworth, ich darf Sie mit Amelias Bruder bekannt machen: Jack d’Orsay.« Er fing Amelias Blick auf. »Er bleibt für eine Weile bei uns.«
Amelia spürte, dass ihr vor Erleichterung Tränen in die Augen stiegen. Danke, Spencer, dachte sie, ich liebe dich. Sie liebte diese beiden Männer mehr als ihr eigenes Leben. Und sie rechnete es ihrem Mann hoch an, dass er nicht von ihr verlangte, sich zwischen ihm und Jack zu entscheiden.
Sie fasste sich und sagte:
»Jack, das ist Oberleutnant St. Maur. Er hat mit Hugh in der Armee gedient.«
»Angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mylord. Ihre Tapferkeit ist legendär, wie mein Bruder schrieb.« Jack verbeugte sich. Dann nahm er einen Stapel Dokumente aus einer Tasche. »Hoheit, ich schlage vor, wir besprechen alles Weitere in der Bibliothek.«
»Wovon sprichst du?«, wollte Amelia wissen, innerlich froh und erleichtert, dass ihr Bruder die Form wahrte. Sie warf Spencer einen vielsagenden Blick zu. Siehst du? Er hat sich schon gebessert! Laut sagte sie: »Das Abendessen ist bald fertig. Eure Besprechung hat bestimmt Zeit bis nach dem Dinner.«
In der Zwischenzeit wollte sie Spencer auf den Zahn fühlen, was es mit diesen Papieren auf sich hatte.
»Außerdem«, fuhr sie fort, »brauchen die Gentlemen dringend ein Bad. Los, raus aus der Küche. Ab in die Wanne und zieht euch zum Abendessen etwas Frisches an. Hier stört ihr bloß.« Sie scheuchte die drei zur Küchentür hinaus.
Lily erhob sich ebenfalls.
»Ich bin müde von der Reise und würde mich gern ein bisschen hinlegen.«
»Aber natürlich. Soll ich dich nach oben begleiten?«
»Ach was, aber lieb von dir.«
Allein in der Küche atmete Amelia mehrmals tief durch und musste auf einmal hemmungslos weinen. Herzzerreißende Schluchzer schüttelten sie, und ihre Kehle fühlte sich rau an. Was war nur los mit ihr? Anstatt zu weinen, sollte sie sich freuen.
Jack war hier, Spencer hatte ihn nicht vor die Tür gesetzt, und sie bekam Gelegenheit, die beiden zu bewegen, sich miteinander auszusöhnen. Ein Lachs sah sie mit seinem glasigen Auge vorwurfsvoll an. Oje, sie musste ja noch die Filets für das Dinner vorbereiten. Kaum nahm sie den Fisch, rebellierte ihr Magen. Sie griff nach der erstbesten Schüssel und übergab sich.
Obwohl sich vor ihren Augen alles drehte, rechnete sie hastig nach. Schlagartig begriff sie. Ihre hilflosen Tränen, die plötzliche Übelkeit, ihre Lust in den letzten Tagen – auf Backwaren und auf Spencer. Sie dachte nicht mehr an ihre Gäste, ihren Mann, Jack und seine geheimnisvollen Dokumente.
Sie war schwanger.
Beim Abendessen saß Spencer Claudia gegenüber. Zunehmend ungehalten beobachtete er, wie sie mit der Gabel lustlos in ihrem Essen herumstocherte, als wäre sie ein trotziges Kleinkind. Noch mehr verärgerte es ihn allerdings, wie sie die drei Gentlemen musterte. Ihr Blick wanderte freimütig von Ashworth über Bellamy zu Jack d’Orsay, der sie charmant angrinste. Vermutlich war ihre Teilnahme an der kleinen Abendgesellschaft keine gute
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