Ein verfuehrerischer Tanz
dass ich mein wahres Ich verleugne? Fass dich an deine eigene Nase. Ich kenne niemanden, der so rücksichtsvoll, vielschichtig und fürsorglich ist wie du – und wild entschlossen, es vor der ganzen Welt zu verheimlichen. Und da nennst du mich eine Märtyrerin?«
Falls ihre Worte als Kompliment gemeint waren, fasste er sie nicht so auf. Stattdessen schmerzten sie wie spitze Glassplitter.
Er seufzte.
»Sag, was du willst, Amelia, aber du kannst nicht leugnen, dass ich mich schwer um dich bemühe. Und ich hab es satt, dass Jack bei dir immer die erste Geige spielt. Immerhin versuche ich, dich glücklich zu machen.«
»Mich glücklich zu machen? Wie kann ich glücklich sein, wenn ich weiß, dass mein Bruder in London um die Häuser zieht und dauernd in Gefahr schwebt?«
»Keine Ahnung, aber damit wirst du leben müssen. Weil Jack sich nie ändern wird.« Er strich ihr zärtlich über das Kinn und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Verdammt, ich will wissen, woran ich bin. Entscheidest du dich für ihn oder für mich?«
Sie starrte ihn an, als wäre er ein Monster. Verdammt, er war kein Monster, sondern ihr Mann, und er wollte wissen, ob Amelia ihn über alles liebte. Was war daran falsch?
»Wenn du mich wirklich kennen würdest«, sagte sie mit zitternder Stimme, »würdest du begreifen, wie sehr ich meine Familie liebe. Und wenn du von mir verlangst, dass ich sie im Stich lassen soll … dann hast du dich geschnitten.« Sie nahm den Stapel Papier vom Tisch und drückte ihn an ihre Brust. »Der Kaufvertrag ist noch nicht unterschrieben. Und solange dieses Haus den d’Orsays gehört, ist mein Bruder hier willkommen. Jack bleibt.«
»Du tust dir damit selbst keinen Gefallen«, warnte er sie. »Er wird dir nur wehtun.«
»Du tust mir viel mehr weh.«
»Amelia …« Zaghaft streckte er die Hand nach ihr aus, doch sie wich zurück.
»Geh«, sagte sie und zeigte mit einer schroffen Handbewegung zur Bibliothek, »und gewinn deinen verdammten Gaul. Immerhin gut zu wissen, wo deine Prioritäten liegen.«
Sie war derart gereizt und uneinsichtig, dass er nicht mehr weiterwusste und ging.
Da die Bibliothek klein war, versammelten sie sich um seinen Schreibtisch. Sie entschieden sich für Poker. Zwar hätte Spencer lieber Pikett gespielt, aber das konnte man nur zu zweit.
Man brauchte Zeit, um eine falsche Fährte zu legen, und nicht wenig Geduld. Die vorrangige und schwierigste Aufgabe war, die Illusion zu erwecken, dass das Glück eine Chance hatte. In der ersten Stunde gewann Spencer ein paar Mal und verlor absichtlich mehrere Runden. Einige Male brachte ihn das überlegene Spiel seiner Gegner aus dem Konzept. Er musste Bellamy sorgfältig beobachten. Jeder, selbst der beste Spieler, verriet durch unbewusste körperliche Signale, was für ein Blatt er auf der Hand hatte. Spencer vermochte indes noch nicht einzuschätzen, was Bellamys gerunzelte Stirn oder sein nervöses Fingerschnippen zu bedeuten hatten. Die Erinnerung an den Streit mit Amelia lenkte ihn dauernd ab. Er sah sie vor sich, ihre schönen blauen Augen vom Weinen gerötet. Ihre bitteren Worte klangen ihm noch in den Ohren. Er dachte daran, wie sie ihn vor der Ankunft der Gäste verführt hatte, hier auf diesem Stuhl. Ihm schwirrte der Kopf. Er war völlig neben der Spur.
In gewisser Weise hatte sie Recht. Er hatte sie manipuliert und nach Briarbank gelotst. Und nicht nur sie hatte er in die Irre geführt. Klammheimlich hatte er das Cottage gekauft und Rhys darauf eingeschworen, Bellamy an den Spieltisch zu locken. Glaubte Amelia denn wirklich, dass das Fest ein voller Erfolg hätte werden können? Naiv wie sie war, bildete sie sich wohl ein, dass sie nur ihr Haus, ihre Arme und ihr Herz öffnen musste, und schon würde Spencer ein paar wohlgehütete, unangenehme Geheimnisse preisgeben. Nach einer Woche Angeln und Gesellschaftsspielen wäre der Konflikt gelöst … und die drei Männer würden als beste Freunde auseinandergehen.
Als Bellamy die Karten mischte und verteilte, räusperte sich Spencer umständlich und blickte zu Rhys.
»Sagen Sie mal, Ashworth, wie sehen Sie das? Wir sind keine Freunde, oder?«
Die Narbe, die die Gesichtshälfte des Offiziers verunstaltete, trat noch deutlicher hervor, als dieser erstaunt die Augenbrauen hochzog.
»Mhm, keine Ahnung. Jedenfalls sind wir keine Feinde.«
»Haben Sie irgendwelche traumatischen Kindheitserlebnisse, über die Sie mit uns sprechen möchten?«
»Nicht unbedingt. Sie?«
Spencer schüttelte
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